Naturräume

 

 

Wenn Doktrinäre und Kritiker das Arsenal ihrer Gründe erschöpft

haben, erhebt sich die Poesie in ihrer Einfalt und fliegt davon. —

          Jean Paulhan

 

 

Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. —

           Franz Kafka

 

 

Bis dorthin, wo es den Grenzen naht, ist das Meer eine einfache Sache,

die sich Woge um Woge wiederholt. Aber in der Natur werden die

einfachsten Dinge nicht ohne große Förmlichkeiten, ohne viel Umstände

zugänglich, die dichtesten nicht, ohne eine gewisse Abhobelung zu erfahren.

Daher stürzt sich der Mensch, wohl auch aus Rachsucht gegenüber der

Unermesslichkeit, die ihn anödet, vorschnell auf die Ränder oder die

Einschnitte der großen Dinge und möchte sie definieren. —

          Francis Ponge

 

 

 ***

 

 

 

 

 Schauspiel Naturraum, Afrikanischer Traum

Schillernde Baumrinden, deren Helligkeit uns in die Augen sticht bis sie zu schmerzen beginnen; wir schließen sie, um nicht noch mehr von diesem andauernden Gleiß geblendet zu werden. Grasland darunter, eine öde Steppe unter flirrender Hitze, trockener Sandboden … und wir denken uns ein, versenken uns in diese Trockenheit und fühlen unseren rasenden Puls: er gleicht dem einer Gazelle nach einer Hetzjagd, einer Gazelle, die minutenlang verfolgt wurde und soeben entkommen ist. Wir? Wir schwanken, unser Hirn dreht eine Runde extra, Schwindel, Ohnmacht; Augen, hinter denen es wütet, winzige weiße, gleißende Blitze, Augen immer noch geschlossen … Der Kreislauf schaltet das Denken aus, kurzer Atem, unruhig arhythmisch. — Wir wachen auf und liegen auf dem Rücken unter einem Baum; hier haben wir geträumt und durch das lindgrüne Laub geschaut ... sich senkende Lider, Müdigkeit, Lichtersterne, die auf uns und unsere Augenlider hinunterrieseln, tausend dünne Nadelstiche, glitzernder Sternenstaub, eine Milliarde Pixel aus dem All in unsere Augen gestreut —: Anemonenglück, Wind der vom Wind herrührt, vom Wind, hergeweht aus der nahen Ferne …; dann dieser kleine Schmerz als Summe des Nachdenkens, daß all dieses bald nicht mehr sein wird. Vorbei. Etwas neigt sich einem Ende zu; begleitet von einer Melodie von werweißwoher. Fragen aus dem Innern: Können Lieder sich selber singen? Haben sie eine Melodie jenseits ihres Textes? Oder: Hat der Mond sich schon einmal aus der Ferne gesehen? Wenn man es so sagt, wenn man derart fragt, dann hat er sich gesehen, man muss ihm nur eine Stimme geben, so wie wir die Baumrinden aus sich selbst heraus schimmern lassen können im Traum ... — angesichts der Jagd auf eine Gazelle in einer Savanne aus rotem Eis, die unser Herz schneller schlagen lässt. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Albertis Fenster

Illuminationen, Illusionen, hinter der Stirn sich sammelnde Gedanken– und Assoziationsfluten, aufblitzende Irrtümer, falsche Bilder, unkontrollierte und nicht einzuhegende Bilder, uns erschreckende Bilder, Bilder aus den Hainen der Jugend, aus den bereisten Ländern, Bilder voller Trübsinn und Erschrecken, Bilder so schön wie die Gesichter der Madonnen bei  Giovanni Bellini, schön wie das Licht auf den Gemälden von Joseph Mallord William Turner, Bilder die vor Sanftmut überquellen, die schäumen, die Rätsel aufgeben, Geheimnisse bergen … immer sind es Bilder die uns zeigen, daß im Grunde die Ohnmacht uns beherrscht nicht nur im Traum aus dem wir erwachen, trockenen Mundes, leichter innerer Augapfeldruck, ruhiger Atem, Licht des Tages durch einen winzig schmalen Spalt, Geräusche aus der Nachbarschaft durch das geöffnete Fenster durchmischt mit der Stille aus dem All, das in uns ist. — Bilder geben Rätsel auf, alle Bilder, herausgeschält aus der Wirklichkeit der Träume, unsere Sachwalter und Buchhalter im Schlaf, die ihr Unwesen treiben im Dunklen wie im Hellen, unbedarft, reuelos, forsch, meist wenig galant, Wirrnisse produzierend, weißgott nicht logisch oder amüsant. — Unser Kopfkissen schreibt uns mit seinen Falten Streifen in die Wangen, die wir später im Spiegel erkennen zwischen all den Lineamenten die uns meinen, nur uns, ausgewählt von wer weiß wem, hingestrichen in die menschliche Landschaft der Physiognomien die in der Menge und Vielfalt kein Algorithmus erfassen kann … oder aber es ist eine Illusion, eine Illumination unseres Spiegels, ausgelöst von einem Defekt im Craquelé unserer Hirnrinde. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Allein, in der Frühe



Kein Entrinnen, der Saum ist sauber genäht, der Zwirn ist fest, das Tuch ist glatt und gestrafft, der Himmel gewölbt für die Ewigkeit, die nun schon eine Weile dauert. Die Zeit legt sich nicht fest. Was kommt danach? Wer lebt noch hier? Was säumt dieser Rand, was säumt den Rand? Welche Horizonte gibt es noch zu erspähen, zu erreichen, zu überwinden? Gibt es Hindernisse, gibt es Türen? Gibt es noch Erwartungen jenseits des Jetzt? Wünsche, die sich erfüllen, Menschen, denen wir begegnen, Freunde, die wir gewinnen? Häuser, die wir noch betreten und bewohnen können? — Eine Mauer aus Schweigen, sie antwortet nicht: Eine Grenze, wie immer, aus morschen Gebeten, haltlosen Thesen, widerlegten Behauptungen, unentzifferbaren Hieroglyphen. Und nun dies: Ein Tuch aus Gedankensplittern, Sprachlosigkeit und gutem Willen umgibt das, was wir Heimat zu nennen pflegten, sorgfältig eingeschlagen, nummeriert, archiviert das Vielerlei, das uns einst umgab: Spielzeug, Klötzchen, Puppen, Fahrzeuge aus Holz, Buntstifte und Hefte, ein forsches Kasperlegesicht mit Kratzern, Kopffederschmuck und Brettspiele … verstreut wie unsere Gedanken, bevor wir Bilanz zogen und fortgingen: ein sympathisches Tohuwabohu, das uns nicht mehr hilft beim Erinnern an die Spiele, die Spielregeln, die Ermahnungen und die Wortwechsel des Kasperls mit den anderen, die wir waren. Der Wind geht durch das Gebüsch vor der Türe, die offen steht … die uns aber trennt vom Draußen, wo der Himmel sich wölbt, die Straßen weit hinaus ins Nichts führen, in die sehr sehr weite Ferne, die sagenumwobene und glücksversprechende Fremde, wo sich der gleiche Himmel wölbt, wo in den Häusern, dort irgendwo, ein anderes Kasperlegesicht wartet und dir Guten Tag sagt, wenn du, allein, in der Frühe eintrittst. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Am Waldrand

Am Abend also das Schauspiel des zurückliegenden Tages, auf den hohen Himmel projiziert, auf den Waldrand und das trockene Gezweig am Ufer des Baches, der die Wiese glucksend durchquerte; und wir, wir wollten etwas sehen, ein Gleichnis vielleicht oder das Spiel vom ewigen Glück, etwas uns Fremdes oder auch nur ein Bild von uns, das uns nicht schon wieder aus den Augen fiel; wir wollten es sehen: Das Stück, in dem wir selbst eine Rolle spielen, in dem wir gemeint sind. Auch wenn uns niemand von dieser Rolle sprach; dies eisige Schweigen machte uns ratlos; wir stimmten nicht darin ein; wir regten uns im Innern, wenn wir auch nicht sicher wussten, wo dieses lag: Wir legten eine Hand aufs Herz … — Dann schlug die Sonne ein letztes mal Rad, der Nebel senkte sich langsam und legte sich ins Flussbett dort, wohin der Bach floss, wenn er die Wiese verließ. Der Wiesenrand verdorrte und der Projektor machte unangenehme Geräusche, gleich dem Gurgeln und Stöhnen eines immerfernen unbekannten Gottes, dem das Schauspiel nicht gefallen wollte und nicht konnte. Ein Lied erschall, in dem der Wind eine bedeutende Rolle spielte, das klare Wasser des Baches und die spitzen Vogelschreie, Laute von Vögeln, die man nicht sah; auch sprach das Lied von der Zeit, die verging während der Vorstellung. Wir lasen das gebundene, in Samt eingeschlagene Programmheft, das aber keine Auskunft gab über den Autor, den Stoff, den Dramatiker und den Bühnenbildner … Textlose Form, Stummheit, Zerfall, Atemlosigkeit. Überhaupt waren die meisten Seiten leer, weiß, unbeschrieben, unbedruckt, ein Palimpsest im Zwischenstadium; zuletzt auch fehlte ein Impressum … — Am Waldrand, diesem ungewissen zwielichtigen Übergang, es war Nacht geworden, standen einige aus der Dunkelheit des Waldes herausgetretene Rehe, regungslos. Sie standen ahnungsvoll aber ruhig da und lauschten mit spitzen Ohren in diese vibrierende nervöse Stille aus verlorener Dämmerung aus Ahnung und Angst, Abend, Nacht und sternloser Dunkelheit. Dann ästen sie und dachten an die Lichtung. ––

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Bis wieder alles still

An diesen dämmrigen Tagen heulen die Himmel die Wölfe an (wer wollte dem widersprechen?), schleichen die Gazellen um die Gräber der Hirsche (man weiß, wo sie begraben sind), stellen die Hunde die Ohren hoch (Gefahr ist im Verzuge), um den Geräuschen zu lauschen, die aus den Kratern dringen, die hoch oben sich verbergen, im Gebirg, wo das Wasser kalt aus den Löchern sprudelt, dann in Rinnsalen den Berg hinab zu den Hütten aus blutendem Flechtwerk (von den Macheten der Sprachkunst geschlagen) nah bei den Gräbern der Hirsche, die des Nachts erwachen und ihre Geweihe durch die Erde stoßen. Samtpfotenweich das geschmeidige Tier, das sich anschleicht, nur das kleine Geäst gibt ein Geräusch, ein Knistern, ein Säuseln am Waldesgrund, den ein hellgrüner Wind bestreicht und die Blätter wiegt als seien sie Rauch. — Schaum und Asche dringen aus den Stämmen, die Wipfel sind im Dunkeln verborgen, die Farne rollen ihre Spitzen ein, Tautropfen liegen auf den Panzern der Tiere, die es bis hierher geschafft haben, müde, ermattet, reglos, mit den Augen rollend, wartend. Dann reglose Stille, der Sturm vor der Ruhe, der alles erfasst, der aus dem Nichts kommt, immer dieses Nichts, man erwartet alles nur noch aus diesem Nichts, diesem Einerlei aus den Weiten des Raumes irgendwo daher aus dem ewigen Grund, der nicht und für niemanden zu erschauen ist, gleichsam ein Schlaf, der, von sich selber erweckt, seine sicheren Wege sucht durch das Gehölz: die wortbrüchige Macchia der Sprache. Bis wieder alles still. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Alles nur eine Frage der Zeit

Wir hören nur dieses Singen, diese Melodie die die Wörter trägt wie der Wind das Gefieder der Vögel: Was aber ist das, eine Melodie? Was aber sind — Wörter? Wer singt dort und woher kommt diese betörende Stimme die sich auf der Haut spüren läßt und sich an sie schmiegt wie ein seidenes Tuch das von der Sonne beschienen und von der lauen Luft bewegt wird wie kleine weiße Federn die aus dem Nichts oder gleichsam aus dem Randgebiet der Wahrnehmung an uns herangeweht kommen und uns fühlen lassen wie die Zeit vergeht, wie die Zeit verweht? — Die Ruhe der Horizontalen, getragen vom inneren Gleichgewicht unseres Empfindens, eine Linie in die Leere gezeichnet mit unserem Sinn für das Schöne, für die Notwendigkeit der Liebe zu dieser Schönheit ohne die wir nicht mehr von dem langen Schlaf erlöst würden … wir leben notgedrungen an ihr entlang … oder wir stürzen in die Tiefe der Zeit wovor sie uns bewahrt sonst läge die Wahrheit nicht in ihr … Worte aus Glas, zerbrechlich wie dieses, wie die in ihrem Glanz aufgehobenen Wahrheiten die nur an den Rändern aufschimmern und in ihrem Sfumato schlummern wie der Wind in den Zweigen wenn er der Zeit ein Schnippchen schlagen will … auch wir schlafen an den Rändern der Zeit und atmen die Sekunden ein die Minuten die Stunden die Tage und die Welt die sich in uns senkt wie die Bilder die den finstern Träumen entspringen aus Lust und Freude an sich selbst ohne Rechenschaft ablegen zu müssen woher sie kommen warum … Wir hören nur dieses Singen, diese Melodie die die Wörter trägt wie der Wind das Gefieder der Vögel: Welche Worte aber benötigt der Traum jenseits der Bilder die ihn tragen, sich einbrennen in das Gedächtnis Zeit mit seinen Fehl– und Leerstellen, Hohlräumen und blinden Flecken? ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Auf unserem Floß ohne Segel

In unseren eigenen Hoheitsgewässern, dem weitesten und uns fremdesten Meer auf Erden, in den fernen unergründlichen Schluchten in uns — steile bemooste immergrüne Hänge links und rechts, geradeaus das Ungewisse —, in den geheimen Canyons aus unzulänglichen und manchmal gänzlich versperrten oder vergitterten Gedankengängen, im dichten Gehölz des beschatteten Dschungels, unter den Lianen, den Affenschaukeln, begleitet vom Schreien der wilden bunten Papageien … mithin auf dem angsteinflößenden Floß Ich, auf dem wir treiben und uns umschauen nach Halt, nach einem sicheren Ufer, nach vertrauten Wegmarken, auf dem wir festsitzen ohne Not, da wir uns selber abgestoßen haben von dem Ufer, von unserem inneren Block aus Ich und Du und Er, von dem wir nie wussten, wer ihn bewohnt, wer hier regiert, das Ziel benennt und uns die Richtung zeigt »Hinaus ins Offene«, das uns als Mythos begegnete vom ersten Tage an — schon im Kreißsaal dieses helle Licht in den Augen, das uns blind machte und uns den Verstand raubte —; hier also denken wir weiter mit jedem Ruderschlag, mit jeder Stromschnelle die uns treibt entlang der Gefahr wie in einem Traum, in dem die Bilder aufscheinen und im nächsten Moment wieder verschwinden um dem nächsten Platz zu machen: Bilder aus unserer inneren Glut und dem Verlangen nach Schönheit, sanft im Sfumato der Gegenwart, die wir mit uns schleppen wie einen Ballast, dessen wir uns nicht entledigen können selbst wenn wir es wollten aus Überdruss oder Angst, dem anderen ständigen Begleiter auf unserem Floß ohne Segel, dieser windschiefen Barke, diesem trunkenen Schiff das ohne Flagge auskommt und deshalb uns nicht benennt, uns, die wir auf ihm ausharren bis ans Ende der Nacht, die uns umgibt und uns blind macht unter dem hohen Himmel, in dem wir selbst der letzte Stern sind. — Allein, auch bei ihm finden wir keinen Halt. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, … aus den Schriften der Philosophen

Der Formlosigkeit der Natur einen Dienst erweisen, all dem Nichtgewollten, all dem Schönen und Wahren aus dem Köcher der Wildnis: der Pracht der sich bewegenden Formen und wechselnden Farben, all dem Schein, der sich den Zufällen verdankt die sich anderen Zufällen verdanken und so auch fern von allem Gemachten sind, das sich ja Ideen verdankt; aber — man kann es in den Schriften der Philosophen nachlesen — diese Ideen greifen nicht wenn man das ganze Große nicht sieht in dem Alles aufgehoben ist, dem sich Alles verdankt … das jedoch ohne jedweden Willen ist wie auch ohne Form, was aber die Philosophen nicht begreifen wollen oder besser: nicht begreifen können, denn sie haben ja dieses Fach gewählt gerade um der Form und der Formen willen: man will das Alles gleichsam einkleiden, anziehen, beschuhen und frisieren, weil es ihnen sonst Angst macht (begreiflicherweise), weil sie sich in ihrer Zunft vor den anderen Philosophen schämen müssten, weil sie nicht wie die anderen eine schlüssige Erklärung haben dafür, daß im nächsten Moment schon der Anzug kneifen würde, das Kleid aus den Nähten platzen, die Reißverschlüsse reißen, die Knöpfe aus ihren Knopflöchern springen und die Frisuren vom Winde verweht wären oohhh … wie schrecklich … dann stellen sie ihre Formen vor den Spiegel. Ihr Erschrecken ist groß. … Sollten wir angesichts dieser Situation nicht einfach die Formlosigkeit anerkennen, sie walten lassen, sie nurmehr nur beobachten, ihrer frivolen, heiteren Sinnlosigkeit nicht einfach recht geben, einer Sinnlosigkeit die ohne Gesetzmäßigkeiten dahinrauscht wie der Wind der sich in den Segeln verfängt des Denkens respektive der vermeintlichen Vernunft aus Abwägung und Spekulation, Firlefanz und Theorie, Heiterkeit und Fragen, Demut und Logik? — O wie ich diese …losigkeiten liebe. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Babylonisches Stimmengewirr

Man spricht dann mit sich selbst … mit den Toten in uns, die wir nie begraben haben, die uns deshalb heimsuchen zwischen den grammatikalisch ungeordneten Wortfetzen, die wir an uns selber richten, die wir assoziativ als sinnlose Geste der Verzweiflung irgendwohin ausstoßen als Abwehr, ohne gewahr zu werden, was uns wirklich bedroht, was uns ängstigt in diesen Momenten der inneren Raserei, ohne gewahr zu werden wo wir stehen und wem gegenüber wir stehen und an wen wir uns wenden weil die Leere ist ein helles Loch aus Licht und Dunkelheit und einem immer entzückenden babylonischen Stimmengewirr, das wie eine sehr ferne Melodie an unser scharf justiertes Ohr dringt wie auch das Glucksen von Wasser unter unserem Kiel in diesem Boot Ich aus Ast– und Blattwerk, das mit Seide bespannt und mit Brokatfäden vernäht ist wie auch das sich blähende Segel, das sich vom Wind nährt und uns an immer neue wolkenverhangene Strände in uns selber führt … weshalb es auch richtungslos ist: kein Kompass, kein Sternenhimmel in uns, der uns die Orientierung erleichtern würde und uns Sicherheit gäbe auf diesem ewig schlingernden Kurs, an Gedankengebirgen vorbei, an randvoll mit Worthülsen gefüllten Totenschädeln, aus denen ein Wimmern dringt und ein Bitten und Flehen, das aber niemand erhört. Ja, man spricht sich aus mit sich, man versteht jedoch kein Wort, man könnte ebensogut taub sein, man könnte tausend Sprachen sprechen und auch keine: in diesem unseren inneren Land stehen wir verloren da wie die unbegrabenen Toten, wie aus Lehm geformte giacomtettihafte Figuren, die hernach in Bronze gegossen werden und die Straßenränder säumen — leere Straßen, die nach Nirgendwo führen. Ein Ort ohne Sprache. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Bilder aus Sternenstaub. Ein Rätsel

Über allem schwebt die Sage. Die Sage, alle Bilder seien aus Staub gemacht, aus Sternenstaub, aus den Resten der Asche des großen Autodafés, das die Götter einst veranstalteten um ihre Haut zu retten, ihre Macht … um ihr Schicksal zuletzt noch einmal selbst zu lenken, das sie im Spieltrieb, aus Leichtsinn und Übermut — und aus Arroganz und der Verachtung denen gegenüber, die nicht in ihrem Kreis saßen — für allezeit zu verspielen schienen; man war sich einig und vergaß allen Groll untereinander: kein Gott stimmte gegen dieses Autodafé, der Himmel verdüsterte sich für Jahrhunderte, die Asche sammelte sich zu Staub, der Staub sammelte sich zu den Bildern, die allen Rätsel aufgaben … auch den Göttern, die sich um sie versammelten um ihren Sinn zu erforschen, ihre Bedeutung zu enträtseln, ihren Gehalt zu prüfen und zuletzt, das Nichtdarstellbare zu erklären. Wie auf den Augäpfeln die Augenlider, so lag ein Schatten auf diesen Bildern, ein undurchdringlicher Film, dessen Schlieren Szenen produzierten wie schnelle Wolkenformationen bei kräftigem Wind; wie mit rauen Peitschenhieben aufgetragen gab sich die Farbpalette aus Umbraviolett, Sienabraun und Veilchenblau, Kobalt-Grünblauoxid und verschmutztem Venezianischem Rot; eine wütende Orgie, an den Rändern ausgefranst: in der Summe eine gräßliche Fratze, ein hinterhältiges Grinsen, garstig, bös, wie eine geflickte Maske nur aus den physiognomischen Resten der Götterwelt, grausam, böse, bitter und erschreckend, Angst einflößend schon allein deshalb, weil man nichts, weil man garnichts erkennen konnte … und weil man, dies zuletzt schlug zu Buche, keine Ähnlichkeit mit irgendetwas finden konnte. So blieben alle Bilder stumm. Man ahnte jedoch, daß die Oberfläche selbst das Rätsel war, zugleich jedoch seine eigene Erklärung barg. Das Äußere also — am Nullpunkt der Begierde — gebar die über allem schwebende Sage. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Bis wieder alles still



 

An diesen dämmrigen Tagen heulen die Himmel die Wölfe an (wer wollte dem widersprechen?), schleichen die Gazellen um die Gräber der Hirsche (man weiß, wo sie begraben sind), stellen die Hunde die Ohren hoch (Gefahr ist im Verzuge), um den Geräuschen zu lauschen, die aus den Kratern dringen, die hoch dort oben sich verbergen, im Gebirg, wo das Wasser klar und kalt aus den Löchern sprudelt, dann in zunächst schmalen Rinnsalen den Berg hinab zu den Hütten aus blutendem faden Flechtwerk (von den Macheten der Sprachkunst geschlagen) nah bei den verborgenen Gräbern der Hirsche, die des Nachts erwachen und ihre Geweihe durch die Erde stoßen. Samtpfotenweich das geschmeidige Tier, das sich anschleicht, nur das feine zarte Geäst, gleich Reisig, gibt ein Geräusch, ein Knistern, ein Säuseln am Waldesgrund, den ein hellgrüner Wind bestreicht und die Blätter leis wiegt als seien sie Rauch. — Schaum und Asche dringen aus den rindenlosen Stämmen der Bäume, ihre Wipfel sind im Dunkeln verborgen; die Farne rollen ihre Spitzen ein; Tautropfen liegen auf den Panzern der Tiere, die es bis hierher geschafft haben, müde, ermattet, reglos, mit den Augen rollend, wartend. Dann wieder diese endlose reglose Stille, dieser Sturm vor der Ruhe, der im Nu alles erfasst, der aus dem Nichts kommt, immer dieses Nichts, man erwartet alles nur noch aus diesem Nichts, diesem Einerlei aus den Weiten des Raumes irgendwo daher aus dem ewigen Grund, der nicht und für niemanden zu erschauen ist, gleichsam ein Schlaf, ein tiefer Schlaf, der, von sich selbst erweckt, seine sicheren Wege sucht durch das undurchdringbare und weit verästelte Gehölz: die wortbrüchige Macchia der Sprache … —. Bis wieder alles still. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Blut und Honig

Im silbernen Schein einer Mondnacht, die nicht enden wollte und der man sich verschrieb in ihrem Glanz und ihren weichen Konturen, an die sich die Kontinente anlehnten, wie auch das Meer sich ihnen anerbot als Grenze aus stillem, schaumgekröntem Wellenschlag und sanftem Druck, ein Meer, das still das Sternensilber auf seiner welligen Stirne trug. Wie ein Reif, ein Reif, der sich um alles legte, der die Sanduhren einhegte und den Flößen die Richtung wies. Die Tore zur Unterwelt standen, weit geöffnet, in der schweigsamen Leere der weiten Ebene, deren Grollen man vernahm von weither, deren Felder verödet, deren Ackerfurchen gefüllt waren mit Blut und Honig und einem glasigen Stoff, dem Dämpfe entwichen. Leises Gurgeln am Grund. Anemonenfelder hinter den Augenlidern. Eine Gänsehaut erzeugende Berührung von spröden Fingerkuppen am Hals, als klopften sie an ein Tor aus Samt, dessen Oberfläche nachgab und zu schwingen begann, leicht wie schwerer Rauch, der vor Mauern aus Perlmutt seine Tänze aufführte. Irgendwo zersprang hauchdünnes Glas. Ein Flüstern. Dann ein Wispern im Unterholz aus gelbem und braunem Geäst, verwunden und verknotet wie die Windungen des letzten auf der verödeten Erde arbeitenden Gehirns aus Asche und Staub. Alle Erinnerungen lasen sich nun selbst als Palimpsest, dem die Worte entglitten waren —und die Bilder aus dem Steinbruch des Geistes aus gleißendem und daher spiegelndem, die Sicht verhinderndem erstarrtem Dampf. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Brot oder Kind, Tiger oder Katze

Wer noch liest das Zeugs, von dem niemand mehr weiß, wer es je geschrieben, von dem niemand weiß, was die inskribierten Worte auf den vergilbt–brüchigen Papieren bedeuten, die keine Dechiffriermaschine mehr entschlüsseln, übersetzen und mit Sinn anreichern kann … weil alle Münder zerschossen, alle Glieder verstümmelt und begraben, alles Sprechen verdorrt bis in alle Ewigkeit, die nun schon lange andauert. Alles Kodieren und Dekodieren verliert sich in den Myriaden von Nullen, die die Menschheit angehäuft hat, die sie zerkaut, mit den Hirnen zermahlen hat bis diese weich wurden und dem Blödsinn in die Hände fielen in den gleichviel Myriaden von Stunden, in denen sie die Langeweile überfiel. Enigma und Mnemosyne geben sich ein Stelldichein in den weiten Savannen des ewig sandigen Kontinents, in denen nur noch die endlosen Geräusche der Rechenmaschinen zu hören sind, was sich anhört wie das aus dem fernen Orkus herklingende monotone Schreibmaschinengeklapper von Millionen solcher Geräte, von denen die eine nach der anderen durch Rostfraß sich selbst vernichtet: Hier gleicht der Sinn dem Sand, der alles bedeckt. Hier verstummt nunmehr auch das Sirren aus dem All, dem der Anfang verloren gegangen ist, sein Urgrund, sein Lachen aus dem es erwuchs. Keine Stimme sagt mehr Liebe oder Schilf, Brot oder Kind, Tiger, Blume oder Katze, deren Augen die letzten waren die noch einen Lichtschimmer zu sehen bekamen, bevor auch sie, eingerollt und müde, sich in ihr Fell zurückzogen, das zu Staub zerfiel noch vor dem nächsten Nachmittag, den dann der Abend löschte. Gescheit war das nicht, aber folgerichtig. Niemand mehr hier sprach von Sinnlosigkeit. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Bunte Erinnerungen


Barfuß durch die Schluchten, unwegsam, alle Wege aus Schotter, auf der Suche nach Irgendwo, diesem sagenumwobenen fernen Landstrich, in dem die gelben Honigwälder ganzjährig blühen, das Wild sich selber zähmt, die Vogelstimmen nie verstummen, wo das Unterholz täglich neue Blüten austreibt, die Farne weich wie Samt, die Luft so klar wie eine Polarnacht und das Moos den Waldboden mit seinem samtenen Grau bedeckt. Seit Jahr und Tag unterwegs auf diesen Pfaden aus Schotter, gesäumt von Gräbern, auf denen Steine stehen mit fein geritzten Hieroglyphen, unentzifferbar aber wunderschön, Hieroglyphen, die von innen her zu leuchten scheinen: ein Flirren auf den Flächen, unruhiger Glanz, ein Oszillieren wie vom Wind bewegter und zerstreuter Wüstensand, falber Seidenschimmer wenn der Mond sie bescheint. — Am Rand auch vereinzelt alte Föhren, mit groben Schuppen versehene Rinde die nicht altert, Reste von Wald, gedächtnislos, sich selbst genug, gesättigt mit Zeit. Regen, der auf den Blättern liegt wie kalter Schnee, der an den Rändern von Hoffnung spricht, von der Sehnsucht nach den Gebeten, die nie jemanden erreichen, weil alle sind taub und alle sind stumm und niemand spricht mehr diese Gebete, weil auch niemand mehr an einen Gott glaubt, von dem man sagen könnte, er interessiere sich für uns am Rande dieses Schotterwegs, der nach Nirgendwo führt, nach Irgendwo; aber auch das ist weit weg, und doch ganz nah auch bei den Honigwäldern. — Ein Gottesacker im Schatten großer Eichen, niemand weiß wo er liegt, man sagt, daß hier einstmals die Honigwälder blühten … Tief Trauernde blieben zurück, zu deren Andenken Fahnen geschwenkt wurden von den Fortziehenden: Bunte Erinnerungen, Blattwerk, wie ein Fliegenschwarm. Aber diese sah nur der kalte Abendwind. Dann wurde es dunkel, still. Dann Regen … Regen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Der Schlaf bei den Schlangen


Fiebergelb, ein Traum aus Glas, das niemals zersprang, das alles durchließ, alles Licht, alle Töne, alle Gesänge, alle Rufe aus dem Orkus und die aus dem Himmel, wo sich alles wand und stieß und schlug und raufte: Priester und Philosophen, Proletarier und Bänker, Fischer und Fleischer, Hinterbänkler und Diebe, Frauen und Damen, Literaten, Poeten, Novellisten, Jäger und Sammler, Huren und Schlächter … ein sinn– und heilloses Durcheinander im Schlaf, eine Falle, aufgestellt in einer Nacht im glühenden Bleigrund, nah dem Fegefeuer, dem vulkanischen Höllenschein; zunächst endloses trostloses Dunkel, dann: aufblitzende Szenerien, durch Beleuchter ins Bild gesetzt, durch diese modernen Schamanen, aus Hollywoods Wüstensand ohne Visum angereist; jedoch ohne eine erkennbare Regie, ohne Sinngebungen, ohne Dramaturgie, allein ein Chaos aus Willkür und lauten Trommelwirbeln, ein glühendes Nachtbild das sich einbrannte, ein zerhacktes nervöses Flackern am wie immer erregten Hirnrand, schiefergrau, wenig vertrauenerweckend, dann schwarz, wieder das tiefe Dunkle, im Nu dann wieder grellweißes Blitzlichtgewitter und zuletzt eine gigantische, alles übermalende Gischt einer ans Ufer schlagenden Welle, die ein Zug Wildvögel ans Land getrieben hat und mit ihr in Myriaden Splitter zerstieb, nachdem das anrollende Grollen und Dröhnen alles übertönte, was von der Bühne drang. — Das unendliche Schweigen danach. Betörend schön. Die Stille aus reinem absolutem Schwarz, aus gleißendem Weiß und nervöser Ruhe am Rand zu geduldiger Unruhe: Alles Atmen gelöscht. Zeit, die sich von nun an selbst verschlang. —Lies diese Minuten auf, und die Stunden. Dann schlafe ein bei den Schlangen. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Diese Stille aus rotem Eis

Schwarze Gräser, dicht gedrängt, feinste zarte Halme, aufgestelltes Haar: ein sanftes Schimmern ruhte auf ihnen, wie Samt im Kerzenlicht, sich wiegend im leichten Luftzug der von den Bergen herrührte, deren Hänge er zuvor gestreift hatte mit seiner Milde, seinem sanften Atem, auf dem die Vögel leis einhergleiteten ins Tal und das Dunkel suchten, das wie die schwarzen Gräser schimmerte wie das Meer auf seinem Grund das nicht erreichbar ist … nur die Wurzeln der Gräser reichten an diesen Grund …; künstlicher Ascheregen fiel auf das Vogelgefieder, das auf dem Moos lag und die Felsen bedeckte, Federn aus Blattgold, Federn aus Silberpapier …; dort geschälter Marmor, hauchdünn, zerbrechlich, alabasterne Glut aus dem tiefen fernen Innern des Gebirgs, marmorierte Blutbahnen, gesintert, Myriaden Jahre alt … ein nicht zu ermessendes Zeitmaß; dann die grauen Kiesel, die den Kraterrand so zart bedeckten, als wollten sie fortschweben … ja, fort in diese Stille aus rotem Eis das niemand sah je zuvor, eine zerbrechliche Stille unterm kalten Mond, der seine Bahn längst verlassen hatte und seither verirrt umhertreibt im All. — Wann hat es angefangen? Wann schien das erste Licht auf? Woher rührte der Trost das es spendete? Gab es ein Zuvor? Wozu diese Reise? Fragen in der hohlen Hand, unbeantwortet, auch hier nur Linien die ins Nichts führen, Gleise ins Unbekannte, Pfade aus gelebtem Alptraum und Glück, aus Hoffnungen und Mühen der Ebene, die kein Ziel mehr berührt, niemals, nirgends … einst gab es diese Ebene aus schwarzen Gräsern, deren Haarspitzen helle Funken ins All sendeten, wo sie die Lichtjahre verschlangen im Nu  — … als wäre es sanftes Zuckerwerk auf der Zunge. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein fadenscheiniges opakes Tuch

 

Ein Zauber aus dem Hohlraum der Hand: Ein Land ohne Sinn, entgrenzt, tanzend wie eine Furie im immergrünen Park, entfesselt wie ein Krieg, in dem jeder gegen jeden kämpft und siegt und verliert … und siegt und verliert … aber vielleicht ist ja das der verborgene Sinn, von innen auf unsere Haut geschrieben, oder geritzt mit einem glühenden Skalpell, blind eingeschrieben auf einer Tafel mit elf Geboten, die bei einer Überfahrt im Mittelmeer versunken ist und von der nunmehr die Sage ist, eine spröde Erzählung, die jeder anders auslegt, von der es tausendundzwei Fassungen gibt, die jede Gelehrtenrunde entzweit und die an den Rändern ausgefranst ist wie die tausende Grabtücher dessen, der einmal Jesus Christus hieß; zusammengenäht ergäben diese fadenscheinigen Reste aus vielen Ländern ein gigantisches opakes Tuch — man könnte die Halbinsel Sinai und den See Genezareth mit ihm bedecken — ein Tuch wie keines: gewebt aus Haß und Missgunst, Machtgier und Lüge, Dogmen und Folter, Traum und Trauma — ein Tuch das nichts verhüllt, gar nichts enthüllt und zur Not nur reicht, um der Höhle als Vorhang zu dienen, in der das alles  …// … — wir schlafen ein und reden im Traum gegen die Wand, vor der wir sitzen und in die das alles geritzt, eingebrannt mit jenem glühenden scharfen Skalpell, von dem schon die Rede war. … — Eine schöne Landschaft, ja, leicht welliges fruchtbares Hügelland, grüne Wiesen, gelbe Felder, dunkle Wälder, ein hoher blauer Himmel, kleine weiße Schäfchenwolken, o ja, diese Schäfchenwolken … ein weitschweifender Blick über den gleichsam verstofflichten natürlichen Frieden, der hier nistet wie in einem Versteck … wie in einem Hinterhalt … oder in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Zeit mit ihren blassen Wunden lehnt sich hier nun an sich selber an und — wartet auf sich selbst. Kein Entrinnen, nie. ——
 
 

 

 

 Schauspiel Naturraum, Ein langer Abend

Ein langer Abend … Die Muschelschalen als Gehäuse für den Wind und seine Geräusche, Palmen die aus ihnen herauswachsen und Eidechsen die sie bewohnen wenn es dunkel wird und der Sand aus den Uhren mit der Zeit einen Packt abschließt (Hier beginnt und hier endet alles.) —: Hier gilt es Vorsicht walten lassen, denn das Rieseln des Sandes ist ein Trugbild auf der Retina nur des Rhinozeros das sich seines Alters bewußt ist und das bei dem Einhorn (das seinen Mythos kennt …) steht und schläft und seinen Traum von der ewigen hellen Savanne träumt, in der es nach nordischen Wäldern duftet, nach dem Salz des Meeres und der Asche verloschener Vulkane, auf deren Kraterrändern die Affen ihre Schaukeln aufgestellt haben, um im sie blendenden Sonnenlicht in die Tiefen zu schauen, aus denen Fische lugen, denen Lianen aus dem Maul wachsen und Schlingen auslegen für den Fang am frühen Morgen, wenn das Wild noch schläft und der Dachs seine Höhle bewacht … in den Schluchten irgendwo in der Ferne, plätschert dein klarer schmaler Bach mit einer Oberfläche aus silbrigem Sternenstreu …— Ein langer Abend … eine glutrote Sonne, die langsam in den Horizont sinkt, eine frische Brise die sich in den Wipfeln der hohen Bäume verfängt und dort ein leises Lied anstimmt, eines, das die Schlangen Tanzen macht, die Wasser der Bäche schneller fließen und die Vögel im Nu verstummen lässt. — Ein langer Abend … an dem das Korn zu wachsen beginnt, die Blumen des Paradiesgärtleins sich sanft einzurollen beginnen, die Hunde das Bellen erlernen, die Wölfe das heulen beginnen und die Zeiger der Uhren vorgestellt werden im Schatten der Sanduhren … Hier steht für den einen Moment — gleich einem Loch im All — die Zeit still um das Warten zu lernen … dieses Warten erzeugt den einen, diesen absoluten Moment … alles wird sich selber Grund … und Schein von sich selbst: Hier kehrt alles ein …——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein Nichts im Vakuum der Leere

Die Wüste lesen. Ihr Bild auslöschen. Ihren Ort auslöschen. Die Erinnerungen an sie auslöschen. Sie lesen als eine Frage, an uns gerichtet; an den Sand, der in unseren inneren Sanduhren am Glas entlangrieselt, das uns von allem anderen trennt, an diesem Glas, an dem alles abperlt, hinter dem die kleinen Höllen regieren an unserem Pulsschlag entlang, an den grauen Wölfen vorbei, den Salamandern und Schlangen … an uns also die gerichtete Frage: nicht was sie sei und warum sie sei … Ihr pures, absolutes Sein als eine starr im Raum stehende Frage die uns touchiert … als eine letzte Frage auch, auf die es keine Antwort gibt, keine Antwort geben kann. Ihr Zustand aus Weite, Leere, Helligkeit und Dunkelheit ist die Frage; ihr Sein aus Setzung, unzweifelhaftem Bestand und ihrem sinnlosen Zweck, den sie mit dem Himmel teilt, in dem sie ruht und schläft und ihren eigenen Träumen nachhängt, vibrierend atmend, still, so still, das man es hören kann, wenn die Sandkörner im Wind sich reiben, dieses zarte Geräusch, das dem Wispern der Engel gleicht, die feenhaft im Sande ruhn. Wind und Himmel und Wüste — als das große Glück, das sie miteinander teilen —, die sich gegenseitig träumen zum Zeitvertreib einer Zeit, die niemand kennt, deren Mitte sie aber sind. O dieses Glück, an dem sie teilhaben als ein Nichts im Vakuum der Leere.— Wir aber, wir hocken fest im Dickicht aus unseren Kontoständen und Automobilen, unseren Wünschen und Begierden an unseren verschorften und von frivolen Partys und von buntem Plastikmüll verheerten Stränden … alles hohler und leerer und ausgemergelter als alle Leeren aller Wüsten, die wir nicht mehr zu lesen verstehen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein leises Zischen … vielleicht

… leuchtet weiß dieser Rand, an dem nur dieser eine Ton zu hören ist, der selbst, ganz sacht, ganz langsam, diese weiße Farbe annimmt … oder ist es ein Rauschen im Ohr? … man weiß es nicht, man sieht es nicht, man hört es nicht … ein Zischen vielleicht … ein leises Zischen in einer Endlosschlaufe … oder eine Bewegung, die einen Laut von sich gibt … eine ruhige nur leicht gewellte, nein, gesäuselte und fein vibrierende Wasseroberfläche die summt … nur diesen einen Ton …   endlos … immerzu … und ihn hält, ihn nicht entläßt … ein tönendes Etwas irgendwoher … oder ist es der laue Wind der ihn herträgt an diesen Rand, der alles einschließt … der alles beschließt … auch diesen Rand selbst, der wie ein Möbiusband einer Zeitschlaufe befiehlt nimmermehr zu enden … ein Wind der sanft über die Wasser streicht, sich selbst benetzt? … dann wieder … und wieder dieser leise Ton, dieser weiße Ton aus Anmut, Friedfertigkeit und der großen Ruhe, die ihn hörbar macht, die ihn trägt … ein eigenartiges Weiß, wie Schnee, wie Staub, wie Nebel, wie Eisberge im Sonnenlicht … wieder nun dieser eine Ton … wie ein seidener Faden, den der Atem in Schwingung versetzt … eine undeutliche Vibration in Weiß, sich selber Rand und Mitte zugleich, aus der dieser weiße Ton sich fortstiehlt ins All der Möglichkeiten, sich mit allen Tönen zu vereinen … die alle dieser eine Ton sind, den man vernimmt als ein Rauschen im Ohr … ein Rauschen im Ohr … ein Dahingleiten wie auf Flügeln, ja, aber nur einen ewigen Flügelschlag lang … in alle Ewigkeit … in die Leere gehaucht, in diesen Hohlraum, in dieses Meer aus Leere, Stille, Nichts … über dem dieser Ton schwebt … ein weißes Licht aus Tönen die sich zu diesem einen summieren … langanhaltend … immer im Gleichgewicht … . — Als verlöre das Hören der Erzählung seinen Mythos und als seien alle Geschichten erzählt und dann — gelöscht. Der Rest ist Warten. Und Ruhe … ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein Nichts im Vakuum der Leere



 

Die Wüste lesen. — Ihr Bild auslöschen. Ihren Ort auslöschen. Die Erinnerungen an sie auslöschen. — Sie lesen als eine Frage, an uns gerichtet; an den Sand, der in unseren inneren Sanduhren am Glas entlangrieselt, das uns von allem anderen trennt, an diesem Glas, an dem alles abperlt, hinter dem die kleinen Höllen regieren an unserem Pulsschlag entlang, an den grauen Wölfen vorbei, den Salamandern und Schlangen … an uns also die gerichtete Frage: nicht was sie sei und warum sie sei (diese Fragen laufen ins Leere, mit ihnen kommt man ihr nicht bei.) … .Ihr pures, absolutes Sein als eine starr im Raum stehende Frage die uns touchiert … als eine letzte Frage auch, auf die es keine Antwort gibt, keine Antwort geben kann. Ihr Zustand aus Weite, Leere, Helligkeit und Dunkelheit ist sich selbst die Frage; ihr Sein aus Setzung, unzweifelhaftem Bestand und ihrem sinnlosen Zweck, den sie mit dem Himmel teilt, in dem sie ruht und schläft und ihren eigenen Träumen nachhängt, vibrierend atmend, still, so still, das man es hören kann, wenn die Sandkörner im Wind sich reiben, dieses zarte Geräusch, das dem Wispern von Engeln gleicht, die feenhaft in diesem Sande ruhn. Wind und Himmel und Wüste — als das große Glück, das sie miteinander teilen —, die sich gegenseitig träumen zum Zeitvertreib einer Zeit, die niemand kennt, deren Mitte sie aber sind. O dieses Glück, an dem sie teilhaben als ein Nichts im Vakuum der Leere. — Wir aber, wir hocken fest im Dickicht der Wüsten aus unseren Kontoständen und Automobilen, in denen wir unseren Verstand verlieren, unseren Wünschen und Begierden an unseren verschorften und von frivolen Partys und von buntem Plastikmüll verheerten Stränden … alles hohler und leerer , stumpfsinniger und ausgemergelter als alle Leeren aller Wüsten, die wir nicht mehr zu lesen verstehen. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein Roman



Im Saal zwei Linden, zwei Philosophen lässig an sie gelehnt, zwei Bücher, eingeschlagen in Silberpapier auf einem marmornen Tischchen vor respektive zwischen ihnen; aus ihnen steigt, langsam aber stetig, jeweils ein Ungetüm, ein Ungetüm in Form eines Satzes der nicht enden will; zwei endlose Sätze die sich bald ineinanderwinden, sich umschleichen, sich gleich einer Doppelhelix endlos ausbreiten und in die Münder der Philosophen schlängeln, hier wieder austreten und sich im Raum verlieren, an die Wände stoßen und, zurück im Saal, zu einem undurchdringlichen Geflecht sich sammeln. Die Stille absorbiert alle Bedeutungen, jeden Sinn. Langsam, endlos langsam erlöscht das Licht, von dem man nicht sieht woher es rührt; das marmorne Tischchen, die Philosophen und die Bücher versinken im Sfumato der Szenerie; im letzten Widerschein schließen sich von links und rechts zwei samtene rote Vorhänge, die am Ende in der Mitte nur noch einen Spalt bilden aus dem ein Flüstern dringt, ein nicht zu verstehendes Zischeln aus mehr und mehr werdenden Stimmen, die den schmalen Spalt endgültig verschließen. — Aus dem Off dringt eine Stimme, die einen Text verliest, handelnd von einer gigantischen, endlosen Rolle Silberpapier, die sich aller Bücher bemächtigt und sie einschlägt, so daß niemand mehr die Buchtitel lesen kann; alle Bücher, heißt es, haben nunmehr den gleichen Glanz; eingeschlossen in der Bibliothek von Babel, in die man sie verbringt, geht von den Myriaden im Lichte der gleißenden Reihen der hier abgestellten Bücher ein Rumoren aus, ein undurchdringliches Netzwerk aus Stimmen und Zischeln, aus Flüstertönen, Stammeln und unterdrückten Schreien … zuletzt dieses grauenerregende Röcheln, das sich bald im All verliert aller Möglichkeiten, etwas beizutragen zu dem, was sich zugetragen hat in jenem mythenbeladenen Saal mit zwei Linden, deren Laub nun auf dem Boden liegt der gigantischen Bibliothek wie aus den Büchern herausgepurzelte Buchstaben und Wörter. — Wer liest sie auf? ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein unbekanntes Sternzeichen

Eine Lichtung mit Rändern aus grauem Schaum, der sich langsam verwandelte in undurchdringlich—dichtes, grünschwarzes Laub und Geäst; hineingesprenkelte gelbe Flecken, dann rote, dann wieder gelbe; diese begannen nach einer Weile zu leuchten, gleich Myriaden von Glühwürmchen, die die Lichtung in ein sanftes Sfumato einzutauchen begannen, aus dem sich langsam eine Schar in braunem Samt gehüllter Rehe bewegte … sehr sanft, majestätisch, geräuschlos. — Ein eisiger glänzender Schienenstrang am Rand des Waldes, der einen Zug durch die Steppe schoss, gleich einem silbernen Pfeil. In jedem Waggon jeweils eine Uhr, die über dem mittleren Fenster angebracht waren: Schaute man aus dem Fenster und somit auf die Uhren, rasten ihre Zeiger gegen den Uhrzeigersinn; die Fensterausschnitte selbst gaben alle den gleichen Blick frei auf einen wie mit einem Lineal gezogenen, weit entfernten Horizont, eine scharfe Linie, einer Klinge gleich, die Himmel und Erde teilte. — Die Rehe  auf der Lichtung stellten ihre Ohren auf, der Waldrand öffnete sich wie ein Vorhang im Theater … ein seltsames Schauspiel; ein gigantischer Spiegel, von sich im leichten Wind verziehendem Nebel zunächst verdeckt, glänzte weiß im Sonnenlicht … die Rehe schlossen die Augen …ein leichtes Zucken durchfuhr ihre Felle,  eiskalter Wind fror alles ein im Nu … das Samt der Felle, von winzigen Eissplittern bedeckt, malte nun bizarre Bilder in den großen Spiegel, auf dessen schimmernder Oberfläche, wie von Wind bewegt, im Rhythmus hörbar leisen Weinens eine Art Tanz begann … dann abrupte Stille, abrupter Stillstand, absolute Bewegungslosigkeit … nurmehr das beängstigende und hell und metallisch zischende Geräusch des rasenden Zuges, der auf eine gigantische Uhr zuraste und an dieser zerschellte … Myriaden heller Splitter malten ein noch unbekanntes Sternzeichen in das Dunkel des Alls. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Ein zerwühltes Bett am frühen Morgen

… oder man zieht eine Bilanz vor seinem inneren Auge, nach dem gerade gelebten Tag, nach dem gelebten Leben an den Seidenfäden entlang der Erinnerung, die uns allzeit betrog und Seile spannte zwischen den vergessenen Bildern um auf ihnen zu balancieren, diesen versiegenden Bildern aus Dampf und Nebel und Schaum und sich entzündeten nur noch in den fernsten Tälern zu denen wir keinen Zugang mehr haben außer dem daß wir wissen daß es diese Täler gibt außerhalb unserer Reichweite … das Gelände ist unwegsam und seine Lage ungenau verortet, keine Karte gibt Auskunft …; man entdeckt einen Zugang wie man glaubt: eine blankgewetzte Türklinke aus Messing, das muss er sein, sie wurde oft benutzt — doch nähert man sich ihr, verschwindet sie. — Man sieht den zahnlosen Greis am Straßenrand, ein weises Lächeln umweht seinen Mund im Gestrüpp des Bartes … nur er selbst weiß was alles er sah, seine Physiognomie ist ein Datenblatt und eine Landkarte für seine Erinnerungen, nur für seine; ein zerwühltes Bett am frühen Morgen im Gleiß, das der fadenscheinige, sich im Wind blähende Vorhang verteilt wie der Wind den feinen Wüstensand … im Augenwinkel eine leere Tube vor dem Spiegel, den man noch nicht erträgt … durch einen Spalt geht der Blick nach draußen, wo die entlaubten Bäume eine Idee geben von den Löchern und dem was fehlt in der Erinnerung, in der versuchten Bilanz vor dem inneren Auge, in den Kammern des Kummers und der Freude, des Glücks und der Finsternis; mein Gott diese Buchrücken in den Bibliotheken, was gaben sie uns her in der Stille, in der nur das Umschlagen von Buchseiten an den Tischen der wenigen Leser zu hören war … man schaute auf die Buchrücken in Reih und Glied, schob die Augenlider über die Augäpfel, die ob des gerade Gelesenen zu zucken, anzuschwellen, zu rotieren begannen. — In solchen Momenten vergeben wir uns, schlagen die verbliebenen Reste ein und sehen zu, daß wir hier heil herauskommen und laufen und laufen und laufen … fort … fort in die Ferne. Dann stehen wir fröstelnd und schwitzend zugleich an einem weit ausladenden, ausgetrockneten Flussbett in einer Gegend, die wir noch nie betreten, noch nie geschaut, bedeckt bis zum Horizont mit erkalteter grauer Vulkanasche — nur ein obszön schöner Fliederstrauch steht einsam in unserer Nähe und lädt uns ein … —

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Barke aus Lehm und Schutt und Asche


Im Seidenkleid, das brennt, am Ufer des Kontinents, der ziellos umhertreibt in den Meeren aus goldener Asche und gleißendem Licht, in dem sich ein Mond bewegt wie ein Rädchen im Uhrwerk des Alls; hier, am Ufer, schäumt der Sand auf wie auf Wellenspitzen, glitzern die herabgefallenen Sternchen in den Muschelresten, liegen lose die letzten Seiten der Schriften, in denen das Ende beschrieben stand, wärmt das Kleid aus Seide, das brennt lichterloh, und die Flammen züngeln unter den Achseln, in den Haaren; und die Augen schmelzen, weil keine Träne die Flammen mehr löschen kann. — Hier nun blähen sich in Gedanken die Segel, hier besteigen wir die Barke aus Lehm und Schutt und Asche, hier halten wir die Seile aus geflochtenem Haar Margarete, heben unseren Blick und schauen nach oben und können doch nicht beten, nein, das können wir nicht mehr, weil wen sollen wir anbeten, die Götter sind in Scharen geflohen mit den Priestern, keine Seele mehr hat ein Zuhause, alle Sinngebungen sind im Sinnlosen versunken weil das muss so sein, weil es nie eine Wahrheit geben kann neben dem chaosgesättigten und heillosen und niemals tröstenden Sinnlosen, das einzig wärmt, das einzig Sinn macht, wenn wir es nur in uns einlassen und zu verstehen versuchten und bestiegen wie unsere Barke aus Lehm und Schutt und Asche und Glück und Unglück und Trost und Trauer über die Verluste hinter den Augenlidern die sich senken wie die Tore der Schleusen die den Weg nimmer mehr freigeben. Ein Strand in der Abenddämmerung, weit, freundlich, windlos, weich und angefüllt mit dem gleichmäßigen sanften Wellenrauschen das aus dem Innern der Muscheln tönt, die wir uns an die Ohren legen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Brise und ihr Echo


Schlug die Augen auf  … und schlief wieder ein. Schlaf lag noch im Nacken, lag im Hals zwischen den Schulterblättern und dem Haaransatz bis unter die Schädeldecke, man lag schwer in den Kissen, lag im Schlaf noch und doch schon nah dem Rand aus Licht und Tönen, die von irgendwoher eindrangen in das Halbdunkel, dieses Chiaroscuro, in die Milch der Nacht und in die schwarze Seide, mit der der kommende Tag noch eingeschlagen war, und lag hinter den schweren Lidern bei leicht erhöhtem Augapfeldruck, generiert vom träumenden Denken, von denkendem Träumen, von den Spuknissen der nicht enden wollenden langen Nacht, ihren Nebeln, die alles verhangen, dem Willen darunter aber auch, doch bloß aufzuwachen aus diesen grellblitzenden und dann wieder schonend samtdunklen Bildern, diesen wechselnden Szenen die aus der Nacht in dieses Morgengrauen hinter den Vorhängen sich gerettet haben, alles illuminierend, keine Szene jedoch konnte man fassen. Es gab über sie keine Berichte, nie. Es war als stürbe die Zeit einen langsamen Tod ohne jemals an ein Ende zu gelangen weil die Zeit kennt keine Zeit; sie wirkt all dies: Das Chiaroscuro, die Nebel über den Wassern, die unüberschaubaren Ländereien in uns, die Schlangen in den Gruben, den Donner am Himmel, aus den Kanonenrohren und den in uns, wenn wir im Innern die Türen zuschlagen um all dem zu entgehen; jedenfalls ist dies unsere Hoffnung; was bleibt ist Enttäuschung. Ratlosigkeit. — Wir warten derweil auf ein Zeichen, aber wir warten nicht wirklich: Etwas in uns. Unser Herz kennt keine Übergänge im Rhythmus der Zeit; es schlägt bis zu seinem Ende. Unsere Adern sind im Innern glatt wie Seide. Unser Atem wiegt unseren Körper samt seinen Gliedern durchs All. Es ist etwas anderes das uns überkommt: Eine weiße Brise, die ihr Geheimnis nicht lüftet. Und ihr Echo.——

 

 

 

Schauspiel Naturraum,  Eine Himmelsscheibe aus gleißendem Alabaster

Gelbes Wasser, ein seidiger Glanz, unter dem die Wahrheit sich spiegelt, solange sie glüht, solange sie sich noch nicht verloren hat an den Sand, der auf dem tiefen, dunklen, kühlen Grund liegt, die Muscheln und Schalen einhüllt mit seinen tausend Jahresringen und wartet … weitere Millionen Jahre wartet um zu vergehen, sich aufzulösen; wartendes Gelb, ein Hinzögern aus Lust auf die Gefahr, sich in Wonnen zu verlieren. Darüber eine gelbe Wüste, ein Schein aus Sternenstreu und Sonnenstaub, der das Meer besingt und es zum Glühen bringt wie ehedem, jenseits jenes Sommers, der allen und jedem im Nu die Haut verbrannte, der die wandernden Dünen rot einfärbte und am Ende alle Wüsten leerte. Nichts von alledem sieht man mehr, die Leinwand ist ein Palimpsest, das Bild hat sich selbst gelöscht, eine verzweifelte Tat … Ennui … die Zeit ist darüber gegangen, schmerzhafte Erinnerungen an das Blühen der Wiesen, der Felder, auch der Savannen im Strohschein ihrer selbst am Mittag, wenn die Sonne hoch stand, die Grillen zirpten, das Gras wuchs unter dem leisenGesumm der Bienenvölker, verblaßt die Farben, alle Gefühle, die Schriften zwischen den aufgeweichten Buchdeckeln aus Samt und Seide. — Schreib das auf, flüstert es noch zart von irgendwoher, schreib es auf, setz dich an den Rand des Nichts und schreib auf deinen Knien das eine lange Poem, das Gedicht mit den elend langen monotaktisch und nicht endenden hingetuschten Zeilen aus Stacheldraht, Telefondrähten und schimmernden Trauerfäden, die die Spinnen weben im Grau der undurchdringlichen Macchia, im Schatten einer Mondnacht aus Silberpapier und Mangoldgrün und unter einer Himmelsscheibe aus gleißendem Alabaster. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Hirnlage ohne Steuermann

Wen erschauen wir, wenn wir vor dem Spiegel stehen am Morgen, diesem ersten Rand des beginnenden Tages, von dem wir noch nicht wissen, was er uns beschert, an welche Strände des Denkens und Tuns er uns führen wird, den wir zwar erwarteten, der uns aber täglich wieder überrascht mit seinen Sinnfallen? Wer ist es, der uns da anschaut, der uns ins Visier nimmt, nackt, der uns beobachtet, der kalt im Glas liegt wie ein Trugbild, ungeschützt vor unserem Blick, den wir auch ihm gewähren auf uns? Was gilt es zu tun angesichts seiner Gleichgültigkeit uns gegenüber, die wir ratlos sind wie er, die wir nur ein Stammeln übrig haben, wollten wir Erklärungen abgeben, was das alles bedeutet, nicht nur an diesem Morgen, in denen wir das kalte Wasser uns ins Gesicht spülen mit aufgefalteten und zur Schale gewölbten Händen? Wir lieben dieses Bild nicht, wir misstrauen ihm und doch fährt uns ein Schmunzeln ob dieser Gedanken in die Mundwinkel. Wir leben an ihm entlang, an diesem täglich wiederaufscheinenden Bild, an dieser Maske, hinter die wir nicht schauen können, die uns vorgaukelt das seien wir, die dort schamlos in das Angesicht starren mit allen noch ausstehenden Fragen, deren Antworten wir fürchten. — Ja, Ratlosigkeit … eine, die wir zu fliehen gedenken  nicht nur an diesem Morgen, diesem ersten Rand, diesem Saum, der uns einhegt, der uns schützt vor uns selbst in den kommenden Stunden aus Mühseligkeiten und Routine, Riten und Willfährigkeiten, aus Worten und Sätzen und vorsichtigen Bewegungen, die uns navigieren und steuern, die uns nähren und mit denen wir das Leben abtasten: eine Hirnlage ohne Steuermann im Stirnland, eines, das ohne eine Karte auskommt, ohne Maßstab und ohne Koordinaten … gleich einer Wüste ohne Saum und ohne Rand, der wir selber sind, auf weiter Flur allein. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Leerstelle im All

Schweiß, Schweiß der aus den Poren rinnt, der Körper vibriert, die Augen weiß und feucht und starren Blicks auf das Geschehen, das mal wieder vom Rand her in das Wirkliche einbricht, diese Wirklichkeit, diese Chimäre aus Myriaden Zellen, die jeweils vor sich hinglucksen, zuckend, atmend wabernd sich dehnen und sich verbinden aus dem Strom ihrer atomisierten Körper heraus … das Wirkliche also einmal mehr als Mitte, als Leerstelle im All, als der vermeintlich zentrale Ort, der gestört wird von seinem Rand, seiner in Auflösung befindlichen Grenze zwischen Tod und Leben, Sprich weiter und Bleibe stumm, Spannung und gleißenden Losigkeiten, die in die endgültige absolute Vergessenheit sinken … ach, diese Vergessenheit, diese Schöne, diese einzig wahre Heldin die uns nahe steht, die uns umarmt, uns zur Seite steigt und uns ihr Geheimnis ins Ohr flüstert, verführerisch, erotisierend, narkotisierend, flimmernd wie die Härchen auf unserer Haut, wenn wir unsere Nerven verspeisen, unsere Adern leertrinken und weinend an den Kratern unserer Seele stehen und, blind vor Scham und Wut, wieder einmal kein Verstehen an den Tag legen können, wir den Atem anhalten … auch jetzt wieder schweigt es in uns, wir vernehmen nur die Klopfgeräusche der Affen Motorik, die um uns herumturnen und herumtollen an diesem Kraterrand, mit spitzen Schuhen auf Seilen tanzen, an Lianen hängen und schaukeln und rufen uns etwas zu das wir nicht verstehen … es ist, als wär Fasnacht. — Ja, ein Tollhaus in unseren eigenen vier Wänden, in unserer eigenen inneren Wüste aus Leere und Vergessen, in die jetzt das Wirkliche einbricht aus motorisiertem Lärm auf den Straßen, dem ritualisierten von Ehrensalven, von Jagdfliegern, Spielautomaten, Schaufelbaggern und Trompetenstößen im Jagdrevier und schnarrend und ratternd umschlagenden kleinen Täfelchen aus Blech, auf denen die Zahlen der Börsenkurse notiert sind. Schöne Welt … heile Welt: Wir Glücksucher. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine List

Listig, am Rand, er schlief, wie alles zuvor. Alles. Alle. Nichts, das ihn hätte wecken können, da alles schlief, alle. Nie mehr wieder in dieser eisigen Höhle, deren Eingang versperrt, der alles verbarg, der die Sonne fernhielt von der erstarrten Dunkelheit, die hier alles barg, auch den Schlaf. Auch die Träume, die sich selber träumen aus Überdruss. Davor dieses fein ziselierte Blattwerk, das sich in seinem eigenen Schatten verbarg, das wenige Licht heiter in den Boden streute: Dieser heilige Schimmer, der durch diesen Filter fiel, Blattwerk, das im hellen Grün seiner selbst anhob, sich hier wiederfand, sich verbarg, sich wiederfand ... O, wir schuldeten ihm nichts, wir zogen mit ihm fort, wir lenkten unsere kalt gesteuerten Bewegungen, wir fühlten den Rand seiner Blätter, seiner Zweige, seiner Äste, die wie ein strenges Muster den Eingang hüteten, den Schlaf, den wir schliefen … oder war dies nur eine Illusion unter vielen —: Verkehrte Welt … aber mit einem Hauch von Heiligkeit: Am Abend ging die Sonne auf, am Morgen ging Sie unter, dazwischen ruhten wir und sehnten uns nach einem Tag aus Schweigen, nach der Stille einer Silbernacht, nach den Träumen und ihren Bildern, aus denen wir niemals zurückzukehren gedachten. Eine erschreckende Summe: Schillernd der Geist aus Gold, die Gedanken aus Silber, durchwirkt von Schemen, von denen wir Abschied nehmen mussten. Eine List, ja — eine List, eine, die uns im Schlaf überfiel, die uns wie Sternenstreu die Lider im Nu versengte und uns befahl, aufzuwachen in unserer kargen, engen, schartigen Höhle: unserem Leib, dem wir nicht entrinnen konnten. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Pforte ins Reich der Sinne

 

Oder Seitenpfade, auf denen wir gehen, solange uns das Wasser unter den Füßen brennt; wir gehen bald darüber wie über ein Feld aus getrockneten Rosenblüten, aus dem der Duft uns in die Nase steigt und uns die Fußsohlen rot einfärbt. Dann wissen wir wieder, woher wir gekommen. Diese Pfade führen ins ferne Schattenland — ein Land wie ein Tuch, gewirkt aus grober Seide, aus der wir auch unser leichtes Schuhwerk flechten. Links und rechts endlose Mohnfelder, die uns betören, deren Bouquet sich zwischen unseren Augen sammelt und uns den Blick versengt, das sich in das Hirn gräbt und dort eine weißglühende Wüste hinterlässt … süßes Opium, ein wenig Rauch nur aus den Pfeifen, eine Tür ins Paradies, eine Pforte ins Reich der Sinne, ein ausgebreitetes Laken aus frommer Unschuld, blühend wie das Feld aus getrockneten Rosenblüten, mit denen wir uns bedecken beizeiten … hier schirmt sich der Himmel gegen sich selber ab. Hier glühen die Sterne schon am Mittag. Seitenpfade, goldgesäumt im Pulsschlag unserer Zeit im hellen Abendsonnenrot, das sich mit den anderen Farben durchwebt und uns ein Craquelé in das Stammhirn einschreibt, unlesbar, unentzifferbar, durchsichtig wie unser Gedächtnis, unsere Erinnerung und wie unsere Netzhaut nach einem Blitzeinschlag, grob dürstend nach Taten rufend, nach Wünschen die nie erfüllt werden. Ach … welche Pfade denn sind wir nicht schon abgeschritten, wieviele Seitenpfade, Ufer, Ränder, Klippen und Grate? Davon können wir ein Lied singen, nein, Lieder …eben wie die aus dem Buch der Tausendundmehr Nächte (keine war wirklich dunkel), deren Texte uns eingeschrieben sind im wächsernen Hirn seit sie erzählt bei einer Schale Tee in den trockenen und heißen Zelten in der fernen Wüste aus Sand und Eis und Schnee, die der Wind uns hertrug. Diese Pfade … . ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Puppe aus Wachs

Kein Geländegewinn mehr, keine Möglichkeiten auszuweichen, die Rückwege versperrt, alles ausgeschöpft, Denkblockaden werden in Notizbücher protokolliert und nehmen gleichwohl zu, der Körperhaushalt zunehmend im Ungleichgewicht; die sich ausbreitende Steppe, von Silberfüchsen bewohnt, wird überwölbt von einem hohen Himmel, in dem sich graue und schwarze Wolken tummeln, so, als wollten sie gleich losbrechen und die dünnen Halme in den Mulden beregnen. Über allem aber summt der Schwarm von winzigen Fliegen, die ganz langsam in alle Ritzen der steinigen weiten Ebene eindringen und hier ihr Zerstörungswerk vollbringen. Große Lurche in schwarzen Pfützen treiben winzige Kälber vor sich her, ertränken sie und schreien, wie noch nie jemand irgend jemanden hat schreien hören; Kraniche hoch oben auf ihren Beobachtungsposten, auf den letzten Baumstümpfen, speien rote Gluten in den Sand, Eidechsen und Schlangen spielen und balgen und schlängeln sich in den Gruben, in denen sie sich dann gegenseitig verspeisen, lautlos, lustlos, aggressionslos, als sei es das Selbstverständlichste der Welt … und als sei der Mond längst aufgegangen, der aber im All längst verglüht ist nachdem er die Milchstraße verlassen hat. — Ein Sommer, ja, schön wie im Bilderbuch, ja, grausam wie ein Krieg, den jeder gegen jeden führt  … eine weite Lagune wie ein Eismeer ohne Wasser: Schlamm, Geröll, Kies, Granaten, ausgeglühter Stahl, erkaltete Munition, Silber, Gold, Kinderspielzeug und ein rotes Kleid aus glänzender Seide neben einer nackten Puppe aus Wachs, in deren Gesicht ein freundliches Lachen wohnt. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine tägliche Partie

Ein leichtes Spiel. Ein Spiel ohne Figuren, eines ohne Regeln, kein Brett– und kein Kartenspiel, ein Spiel das man alleine spielt, eines, das nicht immer Freude bereitet, eines, das viel Freude bereitet, ein Spiel das jeder kennt, das jeder spielt, das im Grunde nur ein Rhythmus ist aus Einatmen, Ausatmen, Luft holen, Denken, das Gleichgewicht halten und Glieder bewegen … als seien wir uns selbst unsere eigenen Marionetten an Fäden aus Seide, Seide wie die von Spinnen, mit denen wir unsere Netze bauen, unsere Kokons, unsere Wirklichkeiten, unsere Gedankengebäude (längst ruinös), unsere Hoffnungen, (…) Fäden die kleben … sie an uns, wir an ihnen, Fäden die im Licht singen und flirren im Ast– und Blattwerk unseres Lebens in das wir geworfen wie Würfel auf das Spielbrett, Fäden zuletzt aus Atem, Bewegung und der ständigen Angst, daß sie reißen. — Fäden aber auch, aus denen wir unsere Lügen bauen, unsere Versprechungen, unsere hinter der hohlen Hand geflüsterten Momente des Verrats, der Beschuldigungen. Unser Spiel ist jedoch jederzeit — und im Grunde wissen wir dies aus den Fehlschlägen, den Niederlagen und Verlusten — eine brüchige und fadenscheinige Melange aus dem Haushalt unserer Verzweiflung, der stetigen Unruhe, der andauernden Ratlosigkeit, der jederzeit vor unseren Augen drohenden Ohnmacht. Wir setzen uns diesem Spiel aus: Eine tägliche Partie die wir spielen und zugleich beobachten aus den Augenwinkeln, mal vom Rand her den wir imaginieren, mal aus dem Zentrum heraus, wenn wir am Zuge sind, wenn wir Entscheidungen treffen müssen, wir die Hände zu einem Hohlraum formen und in diesen — ganz nah vorm Gesicht — starren als fände sich dort etwas, das uns befreite. Da aber ist nichts. Der Hohlraum bleibt leer. Das Spiel aber spielen wir weiter. —

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eine Welt aus Asche und Gefangensein



Sind wir nicht alle in die Helle getreten, in diese Helle aus blendendem Weiß und dieser weißgottwoher stammenden grellen Flut aus künstlichem Licht im Kreißsaal am Rande des Krals, der auf uns wartete und uns sogleich den Kopf schor und uns die Stimme raubte und uns knebelte um die Schreie zu ersticken, diese unüberwindliche Mauer aus Kehllauten, Schrecken und Bibbern, aus Fieber mit geschlossenen Augen, durch deren Lider diese Helle drang und doch im Dunkeln blieb in uns die wir nichts sahen und nichts verstanden und unsere Fäuste ballten und unsere Stirn gegen die Leere stieß, in sie hinein, in diesen Hohlraum Welt aus Asche und Gefangensein, ohne Beistand, ohne den Atem der anderen, dafür aber schon mit den ersten Rissen in der Haut und in der Seele, die sich verlor schon in den ersten Minuten, die sanken in das Schilf in dem das Windelbündel lag wie ein abgestorbenes Blatt auf dem die Frösche quakten und um die herum die Libellen ihre Tänze aufführten bis der Salamander seine klebrige Zunge hervorschnellte und der Wind blies seine eigenen kleinen Schrecken über das wüste Land und trieb die Wolken bis alles sich verfinsterte und die Helle nicht mehr durchdrang und die grelle Flut nicht mehr flutete und auch das künstliche Licht am Ende der Welt verglühte wie der Komet in uns der irgendwann aus dem Himmel gefallen war wie ein Kieselstein und nun am Strand lag, nackt, glänzend und geschliffen wie ein geschorener Kopf, von den Wellen bewegt, teilnahmslos in sich ruhend, der plötzlich eintretenden Stille sich ergab und schwieg? … — diese Kiesel rollten irgendwann zurück ins Meer, unter Wellen begraben und von Salz bedeckt irgendwo zwischen Sansibar und Tanga im Dunkel des Lichts der Tiefsee tauchend nach goldenen Fischen die schwiegen auch und sahen das Licht nicht sondern fühlten es mit ihren scharfen und glänzenden Schuppen aus gehärtetem Stahl der hier blinkte wie Sternschnuppen am Rande eines Krals  irgendwo im All in dem die Lianen aufgespannt waren für die laut schreiende Meute wild umherturnender und mahnend wüst gestikulierender Affen die zeigten immerzu auf die Salamander aus roter Seide. Dann fiel auch die Sonne ins Meer … zum letzten Mal in dieser Saison, in der kein Schnee fiel. ——

 

 


Schauspiel Naturraum, Eine Wildnis, mal hell, mal dunkel

Gute Tage — … in der eigenen, tief in uns verborgenen Wildnis, aus der wir nicht mehr fliehen können, weil niemand den Ausgang kennt, keiner den gegangenen Weg zurückverfolgen kann und will, weil alles Leben tanzt auf einer glühenden Nadelspitze …; gute Tage in den Stollen der Erinnerung an den Glanz des Lebens, den jedoch keiner mehr sieht, weil es ihn vielleicht nie gab, eine Illusion unter vielen …; gute Tage, wer weiß, in den Schächten aus beängstigender Ahnung und vergangenem Unglück bis tief in die weiten fernen Jahre der Zukunft, die uns noch bevorsteht, wenn die Zeit noch mitspielt, eine unsichere Kandidatin seit jeher, Falschmünzerin mit stark ausgeprägtem Sinn für Humor und Gemeinheiten …; gute Tage auch in den nimmersatten, mit Cellulitis gesättigten Blutgefäßen, an deren Rändern die verschorften Reste vor sich hinmodern wie verwildertes Moos in den Urwäldern unserer Vorfahren …; wilde Tage in dem verzweigten Netz aus vor dem Platzen stehenden Venen, in denen seit ewig Lethe fließt und gesüßte Milch, die schon falbe Fäden zieht und bitter schmeckt und am Gaumen kleben bleibt …; gute und schlechte Tage in den hochaufragenden dunklen Hohlräumen, in denen es uns schwarz wird vor Augen, weil wir das Leid nicht mehr ertragen, die Schrecken nicht mehr aushalten, die auf die Wände projiziert sind für alle Zeit …; Tage und Jahre in diesen dunklen dämmrigen und modrigen Kammern, die alten verlassenen Betstätten gleichen, Staub, abblätternder Putz, ausgelegt mit verfilzten Teppichen mit Mottenfraß, geschmacklosen Mustern und falschen Ornamenten, beengte Räume, in denen nur noch Lautsprecher herumstehen, ohne Laut von sich zu geben … hier, hier geben wir uns endlich hin. Eine Wildnis, mal hell, mal dunkel: unser eigener morscher Schrein aus Vergessen, Leere, Trostlosigkeit und Langeweile. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Eingehegte Trostlosigkeiten

… im Grunde nicht mehr als eine schorfige Ebene, an deren Ende dort hinten eine Horizontlinie den Raum begrenzt, was natürlich eine Illusion ist, weil am Ende, dort angekommen, eine weitere Horizontlinie sich zeigt … — Illusionen also, kein Raum, keine begrenzten Räume, in denen man denken kann ohne sich zu verlieren und am Naschwerk sich zu vergehen …; Blumentöpfe stecken den Claim ab, gepflegte und domestizierte Farbtupfer, Vorgärten mit Zäunen aus Angst und Vorsicht, Ratlosigkeit und Gewohnheit, um den Schrecken fernzuhalten der in den Fugen nistet nah dem Getier, das längst alle Horizonte inspiziert und überwunden hat, das sich schadlos hält in noch jedem Raum, auch an den Gärten und ihren Behübschungen, die von gemähtem Gras kreisrund eingehegt werden, Getier, das sich schadlos hält an all diesem Gehegten, an dem sichtbaren Fleiß: an gezähmtem und gebändigtem Astwerk, an geleckten Blumenstengeln, an diesen besprühten Blüten ohne jedweden Duft, Blüten, die sich ausnehmen wie zerfetzte Girlanden nach einem Fest unter freiem Himmel, der die Horizontlinie markiert und alle Ebenen unter sich begräbt, dazu ist der Himmel doch da, wie?, wofür denn sonst ?… Millionen Gräber (behelmt mit spitzroten Zipfelmützendächern) dort hinten, am Rand des Ackers, an dem man mit der Eisenbahn vorbeifährt, Gräber, in denen die Fernsehapparate mattes Licht und blaugrauen Schaum und weißes Rauschen produzieren im Sekundentakt in die eh schon blassen Gesichter werfen … — alle Sinnfäden hier reißen im Nu, Gedanken purzeln auf die Auslegeware wie die Erdnüsse von den Tischchen nahe der Couch, in der Küche pfeift ein Kessel Buntes und im Keller im Regal neben den Bierkästen steht der gefüllte Werkzeugkasten mit den Zangen und Scheren, mit denen man den vielen ungewollten Trieben der Pflanzen im Garten den Garaus zu machen gedenkt. — Wer denn bloß noch überwindet die Horizontlinie, die diese Trostlosigkeiten einhegt am Tag und in der Nacht? ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Eis, das das Innen wärmt

Man konnte die Wüste sich ausdehnen sehen, kein Zweifel, der warme Sand drang vor, schob sich in die angrenzenden und nicht mehr ganz so grünen Deltas der Flüsse, sank in tiefere Erdschichten, bespiegelte den Himmel mit seinem hellen feinen Korn, ließ die Kamele ans Ufer der Meere waten, löschte die wenig verbliebenen Oasen, begrub die letzten Palmen. Reste einstiger Beduinenzelte ragten hier noch und dort als kleine weiße Fetzen aus den falben Verwehungen, den flachen Dünengebirgen, zwischen den wenigen Felsgesteinen. Doch niemand mehr sah was hier geschah, niemand mehr auch konnte die Erzählung fortsetzen, die schon vor langer, langer Zeit begonnen hatte … keine Stimmen mehr versammelt um die Feuer, kein warmer Tee in die Runde gereicht, keine müden Blicke  unter hängenden Augenlidern getauscht, Tag– und Nachtgleiche, ein stummes Bei–Sich–Sein der Erde … nurmehr ein einsam durchs All irrender sandiger Planet, ohne Richtung, planlos um sich selbst rotierend, selbst den funkelnden Sternen ein dauerhaftes Rätsel. — Der Text war geschrieben auf Eis, aus langsam schmelzendem Eis, das wieder zu Wasser wurde. Die Konturen der Buchstaben waren noch deutlich, eine endlose Reihe von Worten, Sätzen, Absätzen … ein waberndes Meer aus Sinnlosigkeiten und Bedeutungen, aus Hingestrichenem und ernsten Meinungen, aus Philosophie und Tratsch, Lüge und Verrat, Verlautbarungen, Liebeserklärungen und Bedienungsanleitungen … wie in einem dreidimensionalen Kreuzworträtsel waren alle potentiellen Gedanken und Sätze auf frivole Art und Weise miteinander verwoben, alte Gesetzestexte und bekannte Litaneien, Predigten und Prosaisches, Todesurteile und Geburtsurkunden, Fahrpläne und Grammatiken … Eis, das auf der Zunge zergeht wie Puderzucker. Eis, aus längst vergessenen Zeiten, Eis, das das Innen wärmt und den Geist. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Es gibt diese Nachmittage …

Zuletzt sind es diese Nachmittage, an denen wir mit über der Brust verschränkten Armen am Fenster stehen, etwas müden Augs von den Tagesmühen, den Dingen nachsinnierend, sich leerend, die Kopfhaut spürend … ja, dies vor allem … wir schauen hinunter auf die Straße und denen zu, die auf ihr entlanggehen, einer mit Mütze und eigenartig angewinkelten Armen, ganz so als wollte er Löcher in die Luft boxen, der Gang leicht wippend, an dem grauen Tor steht er still und dreht sich leicht zu ihm hin, dann geht er weiter; die Frau trägt an den Armen jeweils eine Tasche, etwas schwer beladen, es sind große Taschen, was die Schultern anzeigen und die Müdigkeit im Gesicht verrät, selbst aus dieser Entfernung; zwei Kids nebeneinanderher, beide in der rechten Hand ein Telefonino, Turnschuhe, etwas schluffiger Gang ohne Reaktion auf irgendetwas anderes als das, was der kleine Bildschirm hergibt; parkende Autos, ein Fahrradfahrer …; oder wir rollen ein wenig die Augen, so als suchten wir etwas, das uns Halt geben könnte, wir schauen dann auf die Balkone des gegenüberliegenden Hauses, Sonnenmarkisen, Sonnenschirme, abgestellte Besen, Schrubber, Bierkästen, ein paar Pflanzen, und geöffnete Türen und Fenster, die Schemen von Möbeln und Bildern an den Wänden freigeben, leere Räume, leer wie der Kopf, den man auf den Schultern trägt als sei es ein Bündel Reisig. — Es gibt diese Nachmittage, an denen man das eigene Fenster aufsucht wie einen unbekannten Ort, an dem man, die Welt durch diese Aquariumsscheibe anstarrend, etwas  zu entdecken hofft, was einen ablenkt von den kreuz und quer liegenden Gedanken an die Lektüre, an die Zeilen die man gelesen und die, die man selbst geschrieben hat, man kratzt sich vorsichtig den Oberarm durch den Hemdenstoff, man wiegt den Kopf leicht hin und her, man wechselt Standbein und Spielbein. Der Bürgersteig ist wie ein Vakuum, die Hausfassade gegenüber ein hochgestelltes unbespieltes Spielbrett … in der Summe eine schön anzuschauende Leere, in einem unendlich empfundenen und mit Frieden grundierten Zeitfenster, in dem man das Ticken der Zeitbombe nicht hört. ——

 

 

 

 

 Schauspiel Naturraum, Es war spät geworden auf der Erde

Nach allem was gesagt wurde — es war spät geworden auf der Erde — ging ein Regen runter vom Himmel, ein Regen, wie ihn noch niemand zuvor gesehen, er war rot. Die Aussichts–Plattformen waren überdacht. Man sah schweigend hinaus in die flache Ebene, die übersäht war mit den Resten des zuvor Gesprochenen, dem alles Gesagten. Worte, vertrocknetem Reisig nicht unähnlich, lagen in kleinen feinen Bündeln sorgsam verstreut und irgendwie anheimelnd nah bei den regelmäßig angeordneten Pfützen, aus denen das rote Wasser in Kreisformen hochspritzte um jeden Tropfen des roten Regens, der kraftvoll–lautlos in diese Pfützen fiel. Die Idylle gefiel sich selbst durch den wie Gaze sich ausnehmenden Vorhang aus roten Fäden, die in einem fort vom Himmel hinunter auf die Erde hingen. — Es war still, kein Geräusch drang an die Ohren der auf der Plattform stehenden Frauen und Männer, die festlich gekleidet waren und deren einzige Bewegungen die ihrer Augenlider waren, die rhythmisch sich schlossen und wieder öffneten und den Blick freigaben auf das Schauspiel aus diesem lang anhaltenden reglosen Bild. In ihren Köpfen hallte nach, was alles gesagt wurde, einst: Blutstropfen aus Eis, eine lange Erzählung, ein leises Wimmern aus sich wiederholenden Sätzen, deren Bedeutung am Rand des Bildes aufgelesen wurde von den letzten Schamanen … diese nackt dastehenden Schamanen waren einstmals christliche Priester gewesen, die noch jetzt an ihren zu Brei gemahlenen, übel riechenden Hostien schluckten und würgten, die sie vor hundert Jahren, nach einem Gebet, gierig sich in die vor ihren Lügen berstenden Münder gestopft hatten. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Fieberphantasien und Gier

Ein endloser steiniger Weg, leicht gewunden, immer wieder verborgen, der Sicht entzogen, ein graubrauner Faden, durch die sich links und rechts ausbreitende Macchia, deren Oberfläche, bis zum Horizont sich erstreckend, in der Summe sich ausnimmt wie ein dicht gewebtes samtenes Tuch, grau und dunkelgrün schimmernd, an manchen Stellen ein wenig an Schimmel erinnernd oder den seidig-stumpfen Glanz von Salbeiblättern. Dann wieder erinnert diese Macchia an sich langsam ausbreitenden und sich niederlegenden dichten Nebel … oder an stillstehenden Dampf … und bald an eine hügelige Flechte, von der man nur diese Oberfläche wahrnimmt, kein verborgenes Geäst, keine Blüte, nicht die Erde, der sie entwächst, nicht die Hohlräume zwischen dieser Oberfläche und dem harten ausgetrockneten Boden, in denen Myriaden von Kleintieren hausen und ihre Wochen und Jahre, ihr Leben verbringen. — Hier vergehen die Tage und die Nächte, die wir einhausen mit dieser Macchia, die wir in uns sammeln wie die alte Frau im Wald das Reisig, wir sammeln die Wärme, schlagen sie ein in unsere Mäntel aus Schweigen, das aus dem Schrecken erwächst, den wir gewahren in diesen Tagen und Nächten aus grauem und immer ahnungslosen Schimmer und fadem Gedankenschlamm, dem zähen Schleim, durchwirkt von unverhüllter Schamlosigkeit und frechen Mordgelüsten, von feuchten Fieberphantasien und einer Gier, die unsere Seelen verheert bis auf den Grund, den wir nie erforscht, nie gesehen, nie erreicht haben, auf dem jedoch alles in Scherben liegt, alles — das einzige, das wir wirklich wissen. Allein, diese Trümmer entlang dieses endlos steinigen Weges, der nie den Horizont erreicht, sind nicht so herrlich wie die schweigenden Ruinen aus ferner Zeit, zu denen hin ein weiterer steiniger Weg, ja, auch er leicht gewunden, uns führt, wollten wir nur den Sternen folgen, und sei es auch nur dieser eine. Aber wer folgt schon Sternen, sind sie doch bloß der Staub, aus dem auch wir gemacht … — und der Weg war nicht gut. ——


 

 

Schauspiel Naturraum, Fremde Welten


Farbige Fresken im Halbdunkel, die uns fremd geworden sind, sehr fremd, fremd wie das, was wir zum Beispiel Minoisches Reich nennen, oder erst die Skythen, nicht einmal die Anmut können wir erkennen; fremd sind uns diese Bilderreiche die an unser abgeschirmtes Hirn gelangen und kaum mehr ein Erstaunen hervorrufen, so tief stecken wir fest in dieser Festung Alte Welt. —»Heimat « sagt einer. »Schöner Rhein, wie eine Ader«, sagt ein anderer Herr aus der zweiten Reihe, einer der es wissen muss, weiß er doch das Schöne von all dem zu trennen, was ihm nicht zusagt, ihm nicht behagt nicht nur an diesen schönen blauen ausflugsgesättigten Sonntagen; er ist kein Bauer und kein Mykener, er trinkt Bier, legt sich am Abend gedankenlos ins Bett, nur etwas Schorf auf seinem Gewissen, seine Seele ist eine Kugel wie jeder Planet eine ist in seinen Augen, die aber die Seele auch nicht sehen können, worin er all den anderen gleicht, die mit ihm hier auf dem Rhein umherfahren auf dem Ausflugsdampfer, auch die aus der ersten Reihe nicht. Ferne Welt, fremde Welt, jedoch im feinen Anzug, Füße jedoch im Schlick aus Lügen und Borniertheit, man hat schließlich für seine Rosenstöcke zu sorgen. — Diese Fresken machen Angst, verstören, weil man sie nicht versteht, diese Tumulte der Heiligen und Betrüger, diese Wirren, das Schlachtgetümmel, die Szenen in den Tempeln und auf den schattenlosen Straßen zwischen diesen  Häusern mit den wenigen Fenstern. Und dann diese Frauen … man mag sich gar nicht vorstellen … Auch die steinernen Zeugnisse auf den Triumphbögen, fein ziselierte Basreliefs, kunstvoll, aber eher fremd  … schon »weil sie sich nicht bewegen«, würde der bekannte Herr aus der ersten Reihe lächelnd seinem Nebenmann, ein Glas Bier in der Hand, zuraunen und das selbstgefällige Rosenstockgrinsen aufsetzen. — Gesehen haben wir nichts. Geahnt auch nicht. Das kommt davon. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Gedanken und Hintergedanken

Wir spielen mal wieder mit unseren Gedanken … sie aber haben keine Lust. Sie fliehen die Girlanden, die wir um sie winden wollen, die wir aus ihnen drehen wollen in den Stunden, da wir heimlich Grenzpfähle setzen, was sie längst vermutet und erkannt haben, weil sie uns kennen, weil sie die dahinter kennen, die Hintergedanken, aus denen ihr Stoff nicht ist, der aber unsere Strategie verrät nicht nur an sie, die Gedanken, sondern auch die, mit der wir selbst uns überlisten Tag für Tag … ohne es zu wollen, ohne es zu spüren, ohne daß es uns bewusst wäre. Ein Leid ist es mit ihnen, den Hintergedanken, weil sie spülen den Ernst fort, das Zwanglose, die Aufrichtigkeit und die Lüge, das heitere Spiel, mitunter eben die Wahrheit, der wir ansichtig werden, wollten wir nur ehrlich sein und redlich und genügsam. Wir müssten uns anschauen und die richtigen Worte und Sätze finden, die wir aus den Gedanken flechten, die uns wohlgesonnen sind, die uns gegenübertreten in den Stunden der Muße, in denen des Glücks, der in keine Richtung steuernden, auf kein Ziel hinsteuernden und nur eben wie nebenher, beiläufig gefassten Bilder, die darauf warten seit eh und je am Wegesrand, den Rändern unserer Gedankenströme aus Glut und Gleichmut, Zufall und Glück, Erinnerungen und Fallstricken, die wiederum aus der Vernunft erwachsen, diesem hohlen Irrsinn aus der Mitte der Zunft unseres Denkens. Wir müssten uns anschauen, ohne Zuhilfenahme eines Spiegels, ohne das Blattwerk unserer Aufzeichnungen, Notizen und ohne Zuhilfenahme der Bücher, mit  denen wir uns umgeben wie mit einer Schutzhülle, derer wir uns jedoch bedienen, wenn wir nicht mehr weiterwissen. — Spielen wir also wieder einmal mit unseren Gedanken, dann heißt es Vorsicht walten lassen und aufrichtig sein gegenüber uns selbst, um nicht in die allerorten aufgestellte Falle zu laufen und zu denken. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Grasland, rot eingefärbt

Was denken wir, wenn wir sagen, heute, an einem dahinrinnenden Samstagmorgen, ging die Sonne früher auf als gestern, legten sich die wenigen noch verbliebenen Schafe schon sehr zeitig, im dämmrigen und fast lautlosen Morgen, ins rote Geras, das ihnen die Bäuche wärmte und sie einfärbte, so daß man sie nicht mehr sah aus der nahen Ferne? — Wie denken wir, wenn wir denken, den Denkvorgang beherrschen zu können, im Dickicht aus Trugschlüssen und Kurzschlüssen, aus denen er besteht in seinem dunklen Reich? — Ein leichter Druck auf der Netzhaut: ein Trugbild aus noch nicht geschorener Wolle, eine schnell hingetuschte Fata Morgana im fernen Land des Zweifels, der an uns nagt, uns verwirrt, der uns verstummen macht, der uns die alten Lieder vergällt im fahlen Morgengrauen aus fehlendem Trost, fatalem Selbstbetrug und der uns bevorstehenden Last des Tages, aus glitzernder Ratlosigkeit und der Abwesenheit des Gefühls wirklich am Leben zu sein und an ihm teilzuhaben aus Freude, aus Tollheit und Lust und Begehren. Wer oder was also denkt dann in uns? Können wir dies Denken sehen? — Und: Wie denken wir, wenn uns tatsächlich Hören und Sehen vergehen an einem solchen Morgen schon … mit Angstschweißperlen auf der eiskalten Stirn … wenn uns das Blut in die Adern steigt … und es hier gefriert im Nu? Wer denn, wer, möchte vor diesem Bild ein Urteil fällen über uns? — Wer sind wir? Wohin gehen wir? ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Hinter geschlossenen Augenlidern

Im Dornengestrüpp am Wegesrand des Tages: Unsere Fragen, unsere fehlenden Antworten. Fragen die wir uns am Vormittag gestellt haben nach den durch die Nacht und unsere Träume gebrachten Abendnachrichten im TV und der Zeitungslektüre nun … Fragen kontaminiert von den Blutspuren und vom grauen Qualm der Bomben auf den Titelseiten, den zerstörten Gebäuden, den entsetzten Gesichtern angesichts der auf sie gerichteten Panzerrohre vor ihnen auf den grauen flackernden Bildern und den Schwarzweiß–Fotografien, von dem ewig wiederholten Ritus aus hohlem Geschwätz, Worthülsen und Schuldzuweisungen, bizarren Deutungen des Geschehens, grammatikalisch abenteuerlichen Satzkonstruktionen und all diesem lallendem Mikrofonsprech, diktiert von der Angst etwas falsches zu sagen. — Fragen, die wir in uns hineinmurmeln als gehörten sie nicht zu uns, als stellten sie jemand anders in uns, jemand den wir kennen und doch fürchten am Morgen schon. Sind sie heraus, stehen wir ratlos da, schauen uns weiter fragend hilflos um und hadern und zögern und flehen … beten ist hier und jetzt sinnlos (und immer folgenlos), alle Suchbewegungen in Richtung Antworten bleiben erfolglos, alle Argumente längst verglüht oder unter Schutt und Asche begraben … oder verschüttet in uns … — eine Antwort jedoch bleiben wir uns schuldig; wir schmecken das Bittere im Mund, in dem die Zunge einsam ruht, nur fähig, in diesem lautlosen Raum, in dieser feuchten Dunkelheit den Speichel hin– und herzubewegen, an den Rändern der Zähne entlangzufahren und an den Schluckbewegungen teilzuhaben. Wir versenken dann unser Denken in die Leere, für die wir immer ein Plätzchen frei (gehalten) haben, wir sondern es ab in die Sphäre, in der neue Fragen warten, generiert von den anderen, all den nicht gegebenen Antworten, die wie ein Schwarm von summenden Insekten unentwirrbar in uns kreisen und uns wirr machen hinter unseren geschlossenen schweren Augenlidern, deren nervöses Flackern den ganzen Vormittag anhält. — Die Dornen jedoch, die der Tag an seinem uns begleitenden Wegesrand bereithält, und an denen wir hilf– und orientierungslos entlangschlittern, sie schmerzen; lindern kann diesen Schmerz nichts und niemand, wir sind mit ihm allein, wie auch mit den Schreien, die in unsere Kehle wie in einem Kokon festsitzen, verharren, verbluten und unerhört bleiben. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Hoch oben singt eine Lerche

Goldstaub der auf allem liegt. Auf allem. Auch auf unseren Lungen, die nur noch schwer atmen können angesichts dieser Last, angesichts aber auch des Glanzes, der in uns brennt und uns noch immer führt, der uns jedoch blind macht und uns austreibt, was wir früher Liebe genannt haben und Schönheit, Anmut und Noblesse … Goldene Tiger, goldene Schlangen, goldene Steaks, goldene Wiesen und Felder und Steppen und Savannen, goldene Paläste und Hütten und goldene Museen, in die wir die einzigen Schätze gesperrt haben die wir hatten, … gemacht aus den Träumen und Visionen, den Halluzinationen und Fantasien der Maler, Seiltänzer und Harlekine … aus ihrem Tun in stillen, stummen einsamen Stunden, allein auf dem Floß der Wirrnis treibend, atemlos, weinend, erschrocken, blind und sehend zugleich, taumelnd und besessen … aus ihrem Tun, das uns heute so traurig macht, weil niemand kommt an diese Schätze heran, niemand kann sie mehr sehen, verstehen und deuten … weil die Paläste und die Museen zerfallen zu Staub, wollte man sie betreten. — Hoch oben singt eine Lerche. Aus dem einsam am Straßenrand abgestellten und unbewachten Kinderwagen dringt das Weinen eines Kindes. Eine Hand noch ragt aus dem Moor. Das Rosenbeet ist in seinem Herbst angekommen. Die Zeiger der Uhren stehen still. Das seidene Hemd zerschlissen und von Motten zerfressen. In der schwarzen Pfütze am Bordsteinrand liegt bäuchlings eine Puppe, das Gesicht im Wasser. Zerschnitten alle Drähte, die Spatzen haben kein Zuhause mehr. Von Irgendwoher wird eine leise feine Melodie herangetragen ohne an ein Ohr zu gelangen. — Wir lieben doch diesen Goldstaub, oder? Haben wir nicht unsere Götter und Heiligen mit ihm bestäubt, unsere Ikonen und Buddhas mit ihnen bemalt? Haben wir ihn nicht auf das Fleisch gelegt das wir grinsend verzehrten? Stehen wir nun nicht alle, alle, vor dem einen großen Spiegel, der endlos sprachlos unsere weiß Gott nicht güldenen Fratzen verspeist, eine nach der anderen? —

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Ich.Bin.Der.Der.Ich.Bin (Maskenball)

Alles eine Frage der richtigen Maske, der richtigen Strategie sich zu verbergen, vor den anderen und vor sich selbst, wenn man in den Spiegel schaut, der immer lügt, der niemals lügt, der hinter dich schaut und dich hier verrät: an der Schnittstelle zwischen Lug und Trug und vermeintlicher Wirklichkeit, die nur aus Worten besteht, aus dem brokatenem Schleim der Sätze, der vorwärts kriecht, aus den Mündern dringt, in die Bücher, in religiöse Schriften, in Fahrpläne, in die Ratgeber, in die Anleitungen zur Mechanik, zur Philosophie, zur Selbstverwirklichung, in die Gesetzbücher und Zeitungen. Sich verbergen hinter einer Maske, ja … aber geht denn das ohne Verluste, Verluste an Selbstachtung und Stolz, Aufrichtigkeit und Wahrheit? Ein immergrünes Kleid aus Ich.Bin.Der.Der.Ich.Bin … blühend bis an den Rand der Erkenntnis, der Wahrheit aus undurchsichtigem Schaum — dann stellen sich wieder neue Verluste ein: die Blindheit, weil wir nicht erkennen, wer da vor uns im Spiegel steht mit seiner ledernen Maske und den Kerben und faltigen Rissen, eine Maske, die unscharf zu uns herüberschaut, perlende Wassertropfen auf dem Glas und Tränen in unseren Augen, Nebelschleier, Dampf und eine betörende Stille, weil niemand mit uns spricht. Im Kopf  lungern einige erinnerte Gedichtanfänge herum, schöne Verse aus Bernstein und Alabaster, aus dem Glanz feiner Seide, aus dem Staub der Sterne, der Gischt der Tage, manchmal aus Gold oder auch nur aus hellem Lehm gemacht, wie wir … Aus der Ferne dringt der Gesang sirenenhafter Stimmen an unser Ohr: Was alles versäumt wurde zu sagen, wer die Wahrheit aus den Büchern stahl und wer die Seelen mitnahm auf die lange Reise durch die Täler aus ewiger Trauer, die hinter der Maske sich verbarg. Blind ist die Zeit. Auch sie verharrt hinter einer Maske, ihrer eigenen, in ihrer eigenen, immerwährenden Warteschlaufe, die der Mond bewacht. Unenträtselbar das alles. Wer ich bin? ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Im Eisflimmermeer

Man zählt die Wörter im Wind, die Wörter die er herträgt, Wörter wie Eisflimmern, Wörter, die wie tausend glitzernder Sterne auf den Wiesen ruhn, in denen die samtenen Pfoten umherstreichen auf der Suche nach noch warmem Fleisch. Man löscht das Himmelslicht, man dreht sich im Traum auf die andere Seite, man stiehlt der Zeit die Stunden … die Minuten … die Sekunden aus Gold und Silber. Man wähnt sich in ihrer Obhut. Zähne bohren sich durch das Fell, das warme Blut nässt die Schnauzen und die Erde, der die sanften grünen Gräser entwachsen … dann dreht man sich um im Traum, das Licht  aber bleibt gelöscht, man hört nur die Wörter, die als Eiskristalle aneinanderschlagen, vom leichten Wind bewegt: ein schwaches melodisches und sanftes Klirren, ein feiner Staub aus hellen Tönen, der sich unter die Geräusche mischt … dann hört man nurmehr das Knacken der Knochen des erlegten Tieres … man dreht sich im Traum auf die andere Seite … die Dämmerung bricht durch die Augenlider, weiche Gaze, hauchzart wie grauer Schaum, der die Ränder des Tages birgt, den er langsam entläßt. — Im Nu ein stolzes rotschimmerndes Rosenfeld, aufblühend im Hirn, ein sich wiegendes gelbes Kornfeld, Dünen in der unendlich weiten Wüste aus rosafarbenem Sand, der in den Mündern knirscht. Irgendwo — man weiß nicht ob nah oder fern — schlägt eine Kirchturmuhr; unter der Schädeldecke ein Echo, als bedeute es etwas, als wäre es ein Zeichen. Der Körper auf dem Lakenweiß wird schwerer, er trägt den Traum bis an die Grenze, hinter der er schutzlos ist, ausgesetzt und versengt von den Bedeutungen, die im schalen Tageslicht erblühen, oder im fahlem Neonlicht in den Kontoren mit den blinkenden Screens. Die glitzernden Wörter im Eisflimmermeer sind hier nur noch eine schwache Erinnerung, herübergerettet, der Schattenwelt entnommen, in der die Träume zu sich selbst zurückkehren. — Alle Lichter gelöscht … alle Screens — bis sich erneut die flimmernden Eismeerkristalle auf unsere Lider senken in der kommenden Dämmerung. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Im Eismeer der Gefühle

Auf den Grund gelaufene Träume; gefangen im Schlick des Selbst am Rand des Denkens, am Rand des Fühlens, am Rand der Sinne, die in Nebelschwaden gehüllt sind wie an jenem frühen Morgen die Beringstrasse in Nebelschwaden versank. Hier liegen sie nun und warten auf eine bessere Zeit … Fetzen von Bedeutungen ragen einzeln heraus, einige Bilder, Reste von Erkennbarem, das sich einer Entschlüsselung entzieht, weil nichts mehr gesichert ist, auch nicht die Worte, mit denen sich das beschreiben ließe, mit denen man dem Grund beikommen könnte im Eismeer der Gefühle, die längst erloschen sind wie die Begierde, die Lust auf Bilder, auf Verse, auf irgendetwas, was dem Geistigen entsteigt, dem Urgrund, den es doch geben muss. — Können wir noch Änderungen vornehmen an diesem vergilbten brüchigen  Plan, den wir gelebt, den wir ausgebreitet haben auf dem wurmstichigen Zeichentisch, dem modrigen Reißbrett unseres Lebens, die Wege nachzeichnend mit der versengten Fingerkuppe, den splittrigen rissigen Nägeln, unter denen sich der Sand der Sanduhren gesammelt hat während die Zeit verging und irgendwer die Messtischblätter vertauschte, die andere Möglichkeiten enthielten als die, die wir hingenommen haben als seien sie die Wahrheit am Ort unseres Selbst, unseres Körpers, unseres Denkens, das sich von Liane zu Liane gehangelt hat tagein tagaus, bis uns schwindelig wurde und wir in das Kindbett zurückstiegen bis wir wieder Fötusse wurden: weich, zart, etwas blass, Schlieren von Blut noch im Gesicht — aber Atem war da, eine Bewegung! —, ein Zucken auf der Haut Erde? Haben wir hingeschaut, als der Mauerring enger wurde, der sich um uns schloss, und am Ende für die Träume kein Platz mehr war? Warum liebten wir unser Leben nicht? Warum nur waren wir so unaufmerksam ihm gegenüber? ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Im Innenraum unserer Gefühle

Im Innenraum unserer Gefühle, im Schatten des Grabes, das uns erwartet … dem wir zu entkommen suchen für den Moment, da wir atmen, unsere Glieder bewegen, zum Bäcker gehen, ins Kino, auf den Friedhof, wo unsere Eltern begraben liegen, unsere Freunde; ein Raum, angefüllt mit Schmerz und Erinnerungen die wir hegen, denen wir jedoch jederzeit mißtrauisch gegenüberstehen, weil wir wissen nicht, wer sich da erinnert: wir oder die Macht der Täuschung; angefüllt mit all den Tagesmühen, den vergangenen und kommenden, den Bildern, die uns die Sehnsucht nach einem anderen Leben an einem anderen Ort suggerieren, eine Sehnsucht, die an uns zerrt, weil: wollten wir wirklich dies Leben, wollten wir je überhaupt ein Leben neben uns, eines, das unserer nicht mehr kontrollierbaren Phantasie entspringt gleich einem Reflex vor einem Schaufenster eines Reisebüros, in dem die Savanne, Tiger, Sonnenstrände, weiße Bungalows, lachende Fremde mit dunklerer Haut als unsere eigene Haut aus weißem Schmirgelpapier uns anspringen …? — Ein morgendlicher Schimmer ists, nebelverhangen, unscharf ob des Wasserdampfes im Bad unter der Dusche; schließt man die Augen wird es nicht dunkel; ein Gleiß ists, ein Dröhnen von Irgendwoher, ein Ort, den wir nicht fassen, den wir nicht denken können, der aber da ist … wir frottieren uns ab, ein Rauschen im Ohr, reiben fest die äußere Schale dieses uns fremden Innenraums, in dem es rumort, in dem ständig alles in Bewegung ist, in dem kein einziger Gedanke sich festhalten lässt, in einem Nebenhirn im Kopf ein blitzschnelles flottieren von Treibholz aus Gedankensplittern, von denen jeder einzelne unsere Gefühle durchbohrt und fernhält von uns … derer wir jedoch bedürfen, jedes einzelnen, genauso wie den Raum der sie birgt, der sie schützt, in denen ihr Atem … und der unsere … ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Im Kopf schlug der Pfau sein Rad

Regen bis in die Morgenstunde … ein leises beruhigendes Rieseln auf dem Blattwerk vor dem Fenster … als glitte den Engeln feiner Sand durch die Finger … das Gemurmel jedoch kam vom Innen und rieselte von dort sanft gegen die Schädeldecke, monorhythmisch mit leisen wechselnden Stimmen: Traumnachlese … etwas sprach vom Wesenlosen, vom Unerschütterlichen in allen Formen, von dem was ewig ist und uns schützt und uns behütet … die Nacht lag noch unter den Lidern, das Laken war warm und nur an den Rändern kühl, dort, wo die Luft aus dem geöffneten Fenster direkt hinstrich während vergangener Stunden … im Kopf schlug der Pfau sein Rad … die feinen Nervenstränge waren wie die Saiten einer Harfe gespannt … Pfauenfedern spielten auf ihnen, als sei dies eine verkehrte Welt aus hohen Tönen, und die Erde drehte sich zum soundsovielten Mal … Bilder schoben sich übereinander und ineinander, mal glanzvoll, mal matt wie altes Silber … die zwischen ihnen im schnellen Wechsel aufscheinenden urbanen Szenen, meist einstürzende Fassaden, hatten diese harten holzschnittartigen expressionistischen kristallinen Kanten und Ränder; es lag Tau auf den Straßen; dann Schnee; dann sprießten aus dem Asphalt die Blumen und Flechten und Brücken stürzten ein … für einen Moment schien es, als rieselte der Regen aus dem Ohr, das Reale, das Draußen, vermählte sich mit den Geräuschen des Traumes, mit seinen Nach–Bildern, die auf der trockenen Netzhaut lagen wie Seidenpapier auf den alten antiquarischen Karten der Kontinente in den ledernen Folianten … das Erwachen, dieses tägliche Wunderwerk, schlich auf samtenen Pfoten ins Gehirn, dann in die Glieder … — dann rissen die Müllmänner den Morgen fauchend laut entzwei, die Tonnen rumpelten im Hof über das Pflaster, man erschrak, öffnete den trockenen Mund … — und man war wach … —. Eine leise Melodie aus einem fernen Radio mischte sich in das Gemurmel, das nun aus dem Treppenhaus durch die Wand drang und auf dem Absatz vor der eigenen Wohnungstüre plötzlich verstummte … und hier in ein freundliches und helles Lachen überging. Man selbst suchte im Kopf noch nach dem Schlaf, den Bildern des Traumes, die jedoch jäh verglühten angesichts des gleißenden Lichts der Sonne, daß durch einen Spalt im Vorhang auf die Augenlider traf. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Im schalldichten Raum des Alls

Trag du mir den Wind zu den Säulen. Sprich mit ihnen, sprich leis; sag was zu sagen ist an der Götter Stirn, an ihren Sagen entlang, entlang an ihren traurig in unsere Zeit ragenden Mythen aus Gold und Silber und bisweilen aus Tand, entlang auch an dem Geraune mitten im grellen lauten Stimmengewirr der buntschimmernden Basare; rufe ihnen in Erinnerung die Heldentaten und Grausamkeiten von denen man spricht, die, die sie begingen am helllichten Tag in den Hainen am Rande ihres Himmels aus bösem Gewölk, im Orkus am Fluß Lethe, in den Sälen der Liebenden, im Schatten der Tempel, in den Eichenwäldern, nahe den Zypressen an den Quellen und Bächen, im Halbdunkel des Geschehens in den Säulengängen … Sag ihnen was zu sagen ist … — Trag du mir den Wind zu diesen Säulen auf den verschatteten Stufen zum Olymp, den kein Ruhm mehr erreicht und auch kein Gesang, der verlassen daliegt wie das Laub unter den Bäumen und von dem man zuletzt auch gar nicht weiß ob er wirklich je bewohnt … — Die letzte Jukebox im Schatten des hohen leeren Tanzsaales blinkt vor sich hin und spielt leise auf, die leichten, dünnseidenen, opak schimmernden und mit Spitzen durchwirkten Vorhänge wiegen und bauschen sich im durch die geöffneten Fenster streichenden Wind, sie verstreuen sanftes gleichmäßiges Licht bis hinten kurz vor die halbdunklen Winkel, in denen es flüstert und murmelt aus wenigen unsichtbaren Mündern, begleitet vom leisen Klirren dünner Gläser und dem von sehr sehr fern eindringendem Autolärm auf den Straßen dort draußen in der großen weißen Stadt unter dem falben grauweißen Himmel … — manchmal, dazwischen, schmale, unerhört konzentrierte Augenblicke absoluter  Stille, angefüllt nur mit dieser speziellen anmutigen, durchsichtigen und klaren Ruhe aus Dunkelheit und der schönen Leere im schalldichten ewigwährenden Raum des Alls. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Im Sturm der Ruhe

Gefilde die niemand zu kennen wagt; über die niemand sprechen mag. Gefilde in denen das Laub vor den Tagen dörrt, in denen das Schweigen alles übertönt, die Schwärze alles übermalt und in denen der Atem des Windes an der Leere nagt. Lieder die längst gesungen, Verse die zerschellt sind am Nichtverstehen, Bilder, deren angedeutete Gegenstände aller Ähnlichkeit zu einem wie auch immer gearteten Irgendetwas entbehren und nurmehr auf sich selbst verweisen. Gräben ohne Übergänge, Wege die ins Nichts führen, Steppen ohne Ende, Gegenden aus dem Nichts des sanften Chaos, das blind und ziellos und endlos sich ausbreitet. Hier gibt es auch keinen Rand, keinen Saum, keinen erkennbaren Pfad, keine Linie, keine Richtung … nur die nicht verkündete Idee von sich selbst, von der absoluten Leere ohne Götter und Lehren, ohne das strahlende Augenweiss der reinen Begierde, der Lust und der Hingabe — dieses schöne Weiss im Auge des Blinden, das uns anschaut und blendet, das das Wissen birgt und hegt, das uns verstört und lähmt … eine Geißel der Furien, beharrlich, sanft, streng. In diesem Gefilde nur ein sanfter Stolz, ungebunden, verzückt verrückt, glänzend und allgegenwärtig wie die Abwesenheit von Schein, von allem Licht, das einzig im Weiss dieser Augen des Blinden absorbiert und gebunden und doch unsichtbar bleibt im Sturm der Ruhe die kein Zentrum hat. Hier spielen Richtungen keine Rolle und auch nicht Meinungen, Heilslehren oder Religionen. Hier gibt es einfach Nichts. Dieses schöne und wie leicht und schonend poliert wirkende Nichts, dem man ruhend vom Saum her zuschaut beim einfachen Sein. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, In der Schlangengrube

Nacht —: Eine Schlangengrube, ausgeschlagen mit Silberpapier, das am Tage die Sonnenstrahlen zum Glitzern bringt; ein blendendes Schauspiel, ein grellweißes Flimmern, das hineinschauende Augen samt Augenlider zu versengen vermag. Doch man steht allein, versunken in sich selbst … ringsherum eine unermeßliche Leere, in der die Luft flimmert und das Gesumm von Myriaden unsichtbarer Insekten einen gleichbleibenden bedrohlichen Gesang bildet, minimal anhebend, absteigend, anhebend … ein fernes Summen und Brummen im inneren Ohr, Angst antreibend, Panik und Schrecken … — die Schlangengrube selbst immerfort in einer bleibenden Bewegung des Atems der Kreaturen, die in ihr hausen, sich hier umeinander schlingen, eine Endlosschlaufe bildend, die keinen Anfang kennt und auch kein Ende; nichts Züngelndes, nichts Zischelndes, nichts Gefräßiges, nichts Hungriges … nichts, nichts wonach diese Körper dürsten. — Ein unauflösliches Knäuel, schön wie vom Winde bewegte brokatene Seide in einem orientalischen Zelt, schön wie das zum Lächeln bereite Angesicht der Madonna Bellinis, ein Knäuel, das nach einer unbekannten Melodie tanzt … und sich unendlich langsam rekelt und windet … eine erschreckende Mechanik des Seine ohne Sinn …  ein Sich-Aalen in einer blendenden Grube, in deren Silberhaut die glitzernden Schlangenhäute sich spiegeln und tonlos reiben. — Vor diesem betörenden Craquelé tauchen Fragen auf: Wer hat die Jungfrau Maria zuletzt gesehen? Gibt es Unschuld in diesem Pfuhl aus gesammeltem Gift, glänzendem Schleim und diesen energiegeladenen Häuten? Wer sammelt die Gedanken ein, die den Grund bilden für dieses gelöste Schauspiel aus Lust am Gesehenwerden und der nach unendlichem Schweigen in der Stille, dieser erfüllten Leere, die alle Geheimnisse für sich behält? Werden wir noch von irgendjemandem gesehen an diesem dunklen Saum, werden unsere Fragen noch gehört in dieser späten Nacht?  ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, In der Sonnenmilch flirrender Hitze

Geflecktes Fell in rasendem Tempo, sandfarben mit schwarzen unregelmäßigen Sprenkeln, große und kleine, angespannt, eine zuckende Oberfläche die durch das Grasland sprintet, vibrierend, samten glänzend; darunter pure Muskeln, pulsierend, Konzentration in den Augen, diese beweglich und doch starr gerichtet auf den Hals, den Nacken der Gazelle mit ihrem aberwitzig flinkem Run im Zickzackkurs; beide mit allen Flanken, Pranken, Hufen in der Luft, Sprungkraft enorm, zwei wie von von einer Sehne abgeschossene Pfeile, gebündelte schmale Kraftmaschinen unter sengender Sonne bei strahlend blauem Himmel und gestauter heißer Luft im Windschatten der je eigenen Geschwindigkeit; Pranken und Hufe berühren den Boden, stoßen die schlanken Körper nach vorn und in die Höhe, das Gras der Steppe von dem Luftzug bewegt, den die beiden Tiere erzeugen bei ihrem Sprint durch die Weiten der Savanne aus Gras und Sand und trockenem Gezweig; weit dort hinten die Leere der Wüste, und dort, am anderen Ende, der Regenwald, hier, im feinen Staub, der alles versengende Glutofen in der Sonnenmilch der flirrenden Hitze und ein Kampf ums nackte Überleben in schnellem Tempo: Raserei, Lungentechnik, Reaktion, Vibration, Kontrolle, Instinkt, Kalkül, Refraktion im Blitzsekundentakt. — Es ist schön und erschreckend, verstörend und faszinierend, diese sich rasend schnell bewegende Szenerie zu fixieren: diese leichten, diese fließenden schwingenden Bewegungen mit den eingeschalteten ruckartigen Momenten der Spannungsentladungen, diese Eleganz aus purer Muskelkraft und Geschmeidigkeit, diese Verfolgungsjagd zweier rasend pochender Herzen, diese Hatz aus Notwendigkeit und Angst, Geduld, Ausdauer und einem enormen Reaktionsvermögen. — Wir schließen unsere Augen bevor sie uns aufgerissen und durchbohrt werden von den pfeilspitzen Krallen die aus dem weichen Polster beim letzten Sprung ausgefahren in den Nacken, in den Körper der Gazelle eindringen … und dann der Biss! … der Rest geschieht hinter einer aufwirbelnden Staubwand aus feinem Sand, den bald der Wind fortträgt. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, In dieser samtenen Frühe …

Silbrige Fäden am Saum des Waldes, fahles Glitzern das in den Augen glänzt wie gefrorener, sonnenbeschienener Schnee am frühen Morgen, wenn das Wild noch schläft unter glasigem Wind. Samtene Frühe; irgendwo dort hoch oben schreit und krächzt eine Krähe, ein angenehmes Geräusch in dieser gläsernen Stille, eine Versicherung auch, daß der Erdball sich noch dreht. Die Zeit zieht hier ihre Fäden; ihr Atem liegt auf allem wie Puderzucker der unsere Gaumen berührt. — Irgendwo schürft jemand in den tiefen dunklen Stollen seiner Gedanken genau nach diesem Silber, aber beileibe: es will nichts glänzen, das Gedankengut ist schläfrig, müd, verborgen, wenn es denn überhaupt welches gibt über das zu sprechen lohnte; in diese Stollen reicht kein Licht, sie bergen kein Geheimnis mehr: alles ausgeleuchtet schon vor langer Zeit, alles verhandelt, alles ausgesprochen, eine unergiebige Mine, vergessen, Eingänge verschüttet, keine Hinweisschilder. — Die silbrigen Fäden schimmern weiterhin in den Morgen, der sich von der Nacht zu erholen sucht, er spannt den Saum der beide noch voneinander trennt; sie, die Fäden, schimmern weiter in diesen Morgen hinein mit seiner fahlen Helle die die Ruhe verstärkt, aber auch die Nervosität steigert, so man in ihr stillesteht und lauscht und sich dem Warten überläßt ohne Erwartung, daß hier etwas geschehen könnte, was die Welt erklärt, ihr Sein. Die Zeit des Wartens ist das Ziel der Zeit, ihr ein anderes anzudichten versuchen wäre pure Zeitverschwendung. Spekulationen ihr gegenüber sind sinn– und folgenlos, man nehme sich hier in acht. — In den dunklen Stollen der verlorenen Gedankengebirge herrscht nicht einmal mehr das Warten, denn wo nichts ist kann auch nichts mehr erwartet werden, außer man gäbe sich Illusionen hin, was schade wäre um die Zeit, während der man sich an diese mit diesen Illusionen verliert. Auch Glaube hilft hier nicht weiter, weil auch dieser keinen Gedanken lösen, herauslösen kann aus dem freundlichen Chaos, das, wäre es ein Weg, er nur erheiterte, weil er nur zum Wegesrand tauchte — ohne etwas einzuschließen. — Aber wahrscheinlich befinden wir uns gerade auf diesem Weg. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, In einem offenen Grab. Ein Traum


Genau genommen an einem Tag, an dem die Wolkenformationen sehr ungewöhnlich waren, dunkelgraue, fast schwarze Streifen auf dickweißen, blumigen, in sehr ferne Höhen reichenden Wolkentürmen, in denen, wie eingebrannt, Löcher waren, durch die hindurch man den blauen Himmel sah, der hier aber dunkler war als der, der die Wolken quasi einrahmte; aus den Wolken selbst hing jeweils ein wie nass gewischt wirkender Schleier am unteren Rand, feendünn; der Wind tat ein Übriges, wobei das Gesamtbild mit seinem beschriebenen Muster blieb, nur die einzelnen Wolkenfelder und deren Formationen variierten. Darunter bewegten sich im Wind gelbe und weiße Felder, ein ungewöhnliches Weiß, aus dem hier und da Flammen schlugen ohne sich auszubreiten, sie verharrten wie einen Gasflamme. Von woher der Regen fiel war nicht auszumachen, es waren jedenfalls nicht die sehr dunklen Wolken–Streifen über den Feldern. Etwas Ohnmächtiges lag auf der Szenerie, der jede Regie fehlte, jeder Sinn, er erschloss sich nicht; irgendetwas hatte alle Gesetze verschoben, hier, zwischen diesen mal lauter mal weniger lauten wie Wellen umherwogenden Zwischentönen aus Helligkeit und Dunkelheit, als spiele jemand an einem entlegenen Lichtschalter und Lautsprecherregler. Unter der Schädeldecke ein entferntes Brummen, gemischt mit Bildern von Blumenfeldern wenn man seine Augen schloß, die Augenlider senkte, die Lippen aufeinanderpresste um den Hohlraum Mund zu verschließen. — In der vergangenen Nacht, die, die dieser Szenerie vorausging, träumten alle Menschen den gleichen Traum: Man lag nackt auf dem Rücken in einer weiß ausgeschlagenen Mulde in die Regel fiel, ohne Unterlass; es war kalt; man sah nur einen Ausschnitt durch eine Öffnung in den Wolken; in diesem Ausschnitt tanzten schwarze Balken eine Art mechanischen Tanzes, ein Ballett nach einer Melodie, die sich wie eine Melodie aus wenigen Tönen eines Schlangenbeschwörers auf seiner Flöte ausnahm; seine Augen konnte man nicht schließen, nur die Augäpfel rollen; bewegen konnte man seinen Körper nicht, Schockstarre; … zuletzt konnte man das, was was man Zeit nennt, beinah mit seinem Körper spüren, auf der Haut, sie mischte sich mit dem endlosen Regen … dann gewahrte man, daß man seit Jahrhunderten in einem offenen Grab lag … und man erwachte. ——


 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, In unseren Lagerhallen

Auf unseren täglichen Streifzügen: Verdorbene intellektuelle Waren, abgelaufene Haltbarkeitsdaten auf unseren Gedanken, gefakte Etiketten auf unseren Gefühlen, Angerändertes, Fadenscheiniges, Subalternes, Angeschimmeltes … man wagt sich kaum hinzuschauen, man mag nicht gern scharf sehen angesichts des Abgelagerten, man ist es überdrüssig, man holt tief Luft und atmet diese etwas modrige Kälte ein, diesen Pelzbesatz auf der Zunge, die Bitterstoffe, das längst Übersüßte oder Bittere und Bröselige der Reste die uns bleiben in den unendlichen Regalmetern, die in unserer inneren Lagerhalle ihren Platz gefunden haben. Das Licht ist fad, man weiß nicht woher der Schein herrührt, der schwache Schimmer, der das Alles in ein Sfumato taucht aus Angelesenem und aus Selbsterdachtem, aus an uns Herangetragenes in Wort und Bild, aus Szenen und unschönen Sätzen, gefälschten Nachrichten und Erzählungen, Gebrauchsanweisungen, Rezepten, Logbüchern … wir stehen gebannt vor dem Registern, deren Artikel wir nicht mehr abzurufen wissen, zu lange haben wir auf sie gestarrt ohne ihrer Herr zu werden, weil wir an uns selbst — zu Recht — zu zweifeln begannen, an unserer Begierde, schlechthin der Gier, den unerfüllten und erfüllten Wünschen, von denen wir immer zuviel hatten, satt, übersäuerte Mägen, von Drogen aller Art vernebelt, Unfähigkeit in uns tragend was das Erkennen des Notwendigen betraf … wir zählen an fünf Fingern ab, was dieses sein könnte … — Intellektueller Schleim!, höre ich jemanden rufen, wie Blut geronnene Gedankenwelt, verkrustet!, einen anderen; dann jener, der am Ende in die Stille hinein sagte, man solle in der Halle aufmerksam nach der Schönheit suchen … es sei doch da mal etwas gewesen … — Im Hirn zerspringt Zuckerwerk … Schwindel. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Jetzt aber ist es still  

Vielleicht ist es ja auch nur ein Meeresrauschen, eine sich immer  gleichbleibende Welle, die an unser Ohr dringt, hier kurz verharrt und dann weiter durch den Kopf wieder irgendwohin verschwindet  wie der Windstoß, der sie hierhertrieb. Vielleicht aber ist es auch ein inneres Rauschen. Eines, das ausgelöst wird durch einen Defekt, eine Täuschung oder einen Gedanken, ein Gefühl oder eine Irritation, wie nebenher, eher beiläufig, wie beim Streicheln eines Katzenfells, das uns die Handflächen wärmt. Dann vermählt sich das Rauschen mit der Wölbung der Schädeldecke, es ist gewissermaßen eine zweite  Schale, ein weiches Tuch, zarte Seide, gleichsam ein Fallschirm, unter dem das Denken statthat, das Nachdenken, das Sinnieren,  die Flucht aus den Toren des Hier, hinaus in die Wüste, in die  weite Ferne, wo das Gras unter den Füßen kitzelt, der Duft der  Blumen in die Nase steigt, die Bienen summen, die Arme freier sich  zu bewegen scheinen, der Schritt leichter wird, das Atmen leichter fällt  und die Geräusche scharf wie Klingen sich in die Netzhaut der Ohren eingravieren. Niemand legt hier einen Saum an. Alles eine Melodie  aus erträglichem Schmerz, ein wenig Langeweile und verschärfter  Beobachtung; die Augen vollführen eine weiche langsame Bewegung,  ihr Blick streichelt die Horizontlinie, über der es flimmert und vibriert, ein heller Teig aus Luft und Staub, diaphan, oszillierend wie das im Hirn herumwabernde Gedankengut, gespeist aus Erinnerungen an die Kindheit, die graugrüne Wiese vor der Zeche, die Vorgärten,  den Weg zur Kirche am Sonntagmorgen, der an Backsteinmauern  entlangführte, in denen sich immer wieder neue Gesichter zeigten  und aus denen Geräusche drangen, die an das Schlagen von Wellen an einen Sandstrand erinnerten warum auch immer. Es ist lange her. Dann ist es still. An solchen Tagen haben die Augen geschlossen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Lauter fatale Gerüchte


Das Gerücht Gott. (Und wir meinen alle Religionen, alle Konfessionen.) Das Gerücht über seine Macht und seine Stimme; immer im Flüsterton des Glaubens, immer des reinen Glaubens (der immer ein auf dem Grunde böser Glaube ist) (der sich nie erfüllt) … in einem fort geforderte Hingabe, geforderte Demut bei gebeugtem Haupt … ein schwarzes tiefes weites und unendliches Loch im All und die Leere hinter allen Dingen einschließlich des unendlich schönen Sternenmeeres (wenn man nicht wüsste daß diese Sterne nur funkeln weil sie explodieren) — (Das Gerücht Gott und der Glaube an ES) —: was alles in der Summe nichts anderes heißt, als daß man sich fortgegeben, seine Souveränität verraten, sein Ich beiseite geschoben, die Augen verschlossen, das Denken aufgegeben und die Freude links hat liegen lassen. — (Das Gerücht über seine Macht ) —: Seine … seine? Man rodet seinen eigenen Verstand … seine … damit würde man anerkennen daß es ihn, daß es einen gibt … oder eine … eine Macht mit sämtlichen auf sie übertragenen Befugnissen, die man jedoch jedem abzusprechen bereit sein muss um der Redlichkeit willen, der Freiheit willen, der Wahrheit willen, endlich des Genusses willen, Genuss an dem, was wir unser Leben nennen. Stellen wir uns doch endlich vor den Spiegel und schminken uns ab bevor es zu spät ist, entledigen wir uns doch der Maske, in der die Spuren des Glaubens — der immer nur ein fataler Irrglaube sein kann — unsere Physiognomie verheert, uns den Mund verschließt, uns den Atem nimmt. Holen wir doch die Segel ein mit dem dieser Aber— Irr— und Fehlglaube umherschifft in Gewässern die ihm verboten gehören wegen des Unheils den er anstiftet in den Seelen der Geblendeten und Verführten und der Ratlosen und Hilflosen. Schlagen wir — zuletzt — doch die Zelte auf für die karge Schönheit jenseits eines Gedankens an den Glauben dem die Gier im Hirn und im Halse steckt, der Wahn, die Unterwerfung, das endlose Krakeelen in den Kehlen während der Predigten, der die Herzen inquisitorisch verwirrt, verwüstet und verhärtet. Lesen wir das Reisig auf und schnüren daraus poetische kleine Bündel mit dem Zwirn leiser sanfter Verse, in denen das Wort Gott nicht vorkommt. Binden wir einen Strauß Rosen. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Licht, das alles überstrahlte, Kälte

Ein warmer wildernder Duft wehte von den nahen Anemonenfeldern herüber, ein Duft, der nicht nur in die Nasenöffnungen, sondern auch in sieben Münder drang, in die tränenden Augen … und von hier weiter unter die Schädelrinde, wo er alle Sinne verwirrte und verwüstete und all diese zum Schweigen brachte, weil man wie ohnmächtig dastand, ohne Möglichkeit, sich zu rühren, den Körper in Bewegung zu versetzen, sich zu verständigen, zu denken oder gar zu entkommen. Ein jedes Ich ergreifender Schwindel aus blindem Glas … — ein lang anhaltender summender Ton, der alle anderen Geräusche absorbierte um bis hinter den Horizont vorzudringen, wo er vor einer Wand aus Luft zerbrach. Ein Gift das nach nichts schmeckte, von dem man aber in den Büchern in den nunmehr verschlossenen Bibliotheken lesen konnte, daß es alle betreffen werde, alle und jeden; ein Gift wie Gas, ohne Konsistenz, substanzlos, gleichsam ein nur mehr oder weniger ahnbares und geistvernichtendes Gefühl, das in der Luft seine Wege fand, ohne daß man es entdecken, aufspüren konnte. — Licht, das alles im Nu überstrahlte, eine Eiseskälte, die an extreme Hitze gemahnte, Staub der zu Felsen sich verdichtete, Dampf, der sich mit den Wolken vermählte … — bis alles zu der lauwarmen Milch wurde, die dem letzten Wesen aus den Augen rann. Verschorfte Lügen im Dornengestrüpp. Glockengeläut über betenden Händen, die, seit Jahrhunderten erstarrt, wie Stelen in der Wüste standen und von weißen Gazellen umschlichen und beäugt wurden, den gleichsam einsamen stummen Wächtern eines vom Schrecken, von der Last und von Gebeten befreiten Endes. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Luftzug der Erinnerung … an was?


Mit geschlossenen Augen durchs fremde eigene Wunderland … und wir sehen den alles einhüllenden Nebel, schwach durch ihn hindurch nur die taumelnden Figuren aus Eis im letzten orangefarbenen falben Gelb der Sonne die tagelang am Horizont ruht und sie doch nicht zum Schmelzen bringt. Wir warten auf die Erinnerung, auf die, die uns wie immer dann überfällt in dieser Zone des Verlusts, wenn wir ihrer und der Fäden, mit denen wir uns mit ihr verbanden in den den vielen Jahren des Fortschreitens unseres Denkens, Sinnens und Fühlens, längst verlustig glaubten. Dann sehen wir sie vorüberziehen, die Verwüstungen um uns herum, die uns an unser Inneres gemahnen, die Kriege des Alexander, die Gebeine der Cäsaren, die Reiter der Kreuzzüge, die aufgesperrten zahnlosen Münder der Toten in den Schützengräben und auf den Schlachtfeldern, die Pestbeulen, die großen gotischen Kathedralen, die flimmernden Fernsehinterviewten und den Brei der aus ihren Mündern fällt, diesen geföhnten Schlaufen– und Glaubenssätzen, von denen sie denken, daß es gute Erklärungen für all das Ungemach seien das sie anrichten seit eh und je; wir sehen sie vorüberziehen, diese gelglatten Frisuren und dunklen Anzüge, dazu die Kinder auf den dampfenden Müllhalden, die ausgetrockneten oder vergifteten Flüsse, die weißen Yachten in den Häfen am Mittelmeer, in deren salonartigen Mitteltrakten die blauweißen und übergroßen Fernsehbilder zucken, schimmern und flackern von den überhitzten kleinen rotierenden Metalltäfelchen mit den auf ihnen notierten Zahlen der Börsennotierungen … wie feiner vom Wind bewegter und zerzauster zarter blasser Schaum; dann sehen wir die blutverschmierten Hände der Drogendealer und Mörder, wir sehen Priester, Gauner und Diktatoren aller Couleur die Arme verschränken auf dem Fensterbrett, sehen ihre vergnügten Blicke, ihr Grinsen … dann hören wir Viele sagen, gleichsam aus dem OFF der Geschichte: »wir werden auf Eure Gräber spucken« … wir spüren zuletzt den Luftzug der Erinnerung die scharfe Konturen wirft wir wissen aber nicht auf was und wir fühlen uns machtlos und hilflos und sprechen in den Nebel hinein daß man uns doch bitte verschone und wir hören nur noch das Echo unseres Sprechens das uns aus dem Munde fällt wie bitterer Mohn der einzig uns im Gedächtnis bleibt jedoch niemand vergibt uns unsere Schuld. ——

03. Dezember 2023

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Mit Honig gesüßte schneeweiße Milch

In den Monaten des Sommers, wenn der Wind schläft in den angesengten Ruinen unseres Gedächtnisses, in diesen schummrigen Kammern aus Staub und Stabwerk, aus Asche und Nervosität, inmitten des Zaubers der Blüten, die ihre Farben in diesen Räumen sammeln und durch das offene Gebälk in den Himmel senden und dort wie Sterne weiterglühen …; an den langen Abenden an den Feuern auf den Lichtungen der finstern Wälder, eingekerkert von der undurchdringlichen Macchia aus unseren Fragen, die auf ewig unbeantwortet bleiben, und der aus unserer Verzweiflung angesichts unserer unzureichenden Fähigkeiten das Unterholz zu lichten um an die Wahrheit hinter den Fragen zu gelangen, an diesen Abenden legen wir die brennende Zündschnur in die dampfende und mit Honig gesüßte schneeweiße Milch die unsere Zunge wärmt, nur diese, im Innern bleiben wir kalt wie Eis …; in den Stunden unserer inneren Glut, die in uns lodert schon beim ersten Gedanken an das Geheimnis des Übels allen Seins, das wir, und das wissen wir in diesen Stunden, niemals werden entschlüsseln können weil wir sind fern von uns selbst, unterwegs auf diesem unserem Floß aus Gold– und Silbermünzen, die aus den Börsentafeln dieser Welt hervorkullern, für die uns jedoch niemand etwas eintauscht der bei Sinnen ist …; in all diesen eng befahrenen Gefahrenzonen im wabernden  Dämmerlicht, im grauen Schaum und falben Nebel und rauchenden Feuern, im Sand imaginierter Wüsten aus Leere, Nichts und Taumel … hier schlafen wir unseren Rausch aus, nachdem alle Gespräche geführt, alle Texte geschrieben, alle Bücher gelesen, alle Predigten gehalten, alle Ermahnungen in den Wind geschlagen und alle Leiden ertragen und alle Toten begraben wurden. — Um uns herum Stille, ein paar grasende Rehe im leichten Wind, der aus den Ruinen sanft herüberweht. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Natura naturans

Man kann ihre Stille hören, ihr Schweigen; ihren leisen Gang und ihren leisen Gesang … und ihren Atem; man kann ihr Licht sehen und ihre Dunkelheit, das, was sie verbirgt, das Weiß ihrer Augen, in denen der Schimmer wohnt, der sie zum Glänzen und zum Lächeln bringt; man kann ihr zuschauen bei ihrer Arbeit am Wurzelwerk, beim Landschaftsbau, beim nie endenden Tun und Wirken an ihrem eigenen Gabentisch, beim Entfalten ihres schönen Scheins (der immer schön ist, weil er verfliegt, weil: was wäre denn Dauer? … — doch ihr eigener Tod), beim Verfestigen ihrer bescheidenen Gedanken zu dem, was wir ihre Wunder nennen; wir können ihr beiwohnen bei ihrer sanften Kraftentfaltung, die ihr eigentliches Sein ist aus dem Nichts, jenseits von Sinn, jenseits von Erfüllung und Zweck, denen sie entsagt, weil sie in ihrer Einsamkeit ihr Glück gefunden und in sich selber ruht, nur hier, und niemanden stört — nur uns verstört (eine verdeckte Liebeserklärung, die ohne Willen agiert, eine Glaubensbekundung ohne Glauben … eine Sage …ein Vorübergehen … ein glänzender Moment … ein Samenkorn … Glück, das der Stille erwächst und dem Schweigen das über allem schwebt). — Alles erstirbt auf der Regenbogenhaut, die unser Innen vom Außen trennt, in unserer Iris, auf der Retina aus Silberpapier mit Goldrand, das alles mit diesem Schimmer benetzt, der dem Urgrund erwächst vor dem Schlafengehen. — Man muss selber nur schweigen. Und stille sein. Stille …  gleich der Stille der Natur. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Nebelschwaden

Zuletzt die unnachahmliche Wendung am Wegeskreuz zwischen Himmel und Hölle, zwischen Skylla und Charybdis, der Plantagenzone aus Bananenbäumen und Herden von weißen Nilpferden, die unter der sengenden Hitze der Sonne badeten; eine Müdigkeit die sich verlor in der Wildnis aus gelbem Gras und schneebedeckten Felsendomen, deren Türme aus dem Orkus ragten gleich denen, die in der weiten Ebene der hellen Wüste aus dem Sandkasten ragten wie verdorrte Pilze aus dem Asphalt, dem ein weicher Pelz wuchs aus roter Rinde und blauem Schimmel. Ein Wendepunkt im Leben, so sagt man wohl, ein sinnverkehrter Weg, eine Sackgasse aus verschorftem Glück, verfehlter Liebe, Gleichmut und Unwissenheit. Etwas aber ragte immer noch ins Leben hinein: Eine Sage aus alten Geschichten, die sich selbst erzählten, aus Irrtümern, die sich eingeschlichen hatten und nunmehr stumm die Tore bewachten der Träume, aus denen es kein Entkommen gab, weil die Dämpfe alles Sehen verunmöglichten, weil nunmehr alles eher einer schönen Ohnmacht glich. Scharen von mit Schellen behangenen Narren in farbenfrohen Gewändern belagerten die Wegränder, grell, bunt, laut lachend, schreiend und umherlaufend wie Tausende von Ameisen, denen ein Elefantenfuß ihren Hügel zertreten hat. Die Suche begann von Neuem und niemand ahnte, daß es vorbei war, endgültig vorbei, daß Himmel und Hölle längst ausgelöscht waren, ein Winter nie mehr wiederkehren würde und auch kein Sommer, weil diese längst sich einsam im Nebel verloren hatten.  ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Nur ein Versprechen

Randfiguren aus Silberpapier, doch ohne jedweden Glanz, nur als ein Versprechen, Tand wie alles Silber, das uns nicht glücklich machen kann, weil es nicht aus Schweigen gemacht wie das Gold aus den Minen der Vernunft. Ein Palaver geht von diesenRandfiguren aus, ein babylonisches, ein gegen die Mauer der Klagen angestimmtes, ein ewiger Rinnsal aus Tönen, Worten, Sätzen, ein Gestammel gegen den Himmel, der alles im Nu überwölbt mit Unverständnis und Unglück, Ratlosigkeit und gedanklicher Finsternis, Lügen und Verrat, vor denen es kein Entkommen gibt; man sollte sich fürchten. — Wen aber trifft das nun alles? Wer denn hält sich auf an diesem Rand, der die Dinge trennt, das Sprechen über sie und ihre Wahllosigkeit … und über ihr Verschwinden im Staub, der schönen grauen Asche nach dem Inferno, der in die Lungen dringt, nah der Herzen, nah des Atems. Wo sitzt denn die schöne Seele in diesem Tohuwabohu, oder besser: das, was wir ausgeben als diese Seele als zu uns gehörig, als Mittler zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen der Idee vom Gott und der unendlichen Mühsal zwischen rotierenden Tagen mit all den Zweifeln, den sie gebären immerzu, die an uns nagen und unsere Haut auf Pflöcke spannt wie unseren Geist? —Dies gesehen zu haben scheint unmöglich … also doch nur ein weiteres Versprechen. Aus Übermut. Aus gedanklicher Schwere und einer immer weiter wütenden Gier nach einer Wahrheit aus patiniertem Silber. —Tand. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Objektschatten im Wind

Sollen wir auf unseren Schatten starren, ihn anstarren bis er birst, unter unseren Füßen fortbricht, sich von selbst einrollt, an uns hochschleicht wie eine Natter, uns den Boden entzieht auf dem wir stehen mit der Sonne im Rücken, den sie uns wärmt und den Schatten zeichnet auf dem Grund, ihn ausspart, ausgrenzt aus dem hellen schönen Schein, der uns vorgaukelt wir seien wer oder was, was auch immer? Sollen wir in unseren Schatten hineinkriechen, in ihm verschwinden, einsinken in seinen Schein von etwas, das wir nicht kennen, nicht erkennen können, weil wir sind ja selbst Schatten von etwas, das außerhalb von uns ist, dreidimensionale Objektschatten im Wind, in der Wüste, in den Städten, in den Wäldern, auf den Bergen und in den Flüssen, die wir durchschwimmen wie das Nirwana, dessen Kühle und frieren macht wie der Anblick unseres Schattens auf den wir … ja, auf den wir starren wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange, die diese zwar fixiert, sie aber bewegungslos macht, als hätte sie noch nie ein Kaninchen gesehen, die vor diesem Blick erschrickt (wie vielleicht auch der Schatten vor uns …) — sollen wir dies tun? — Dann senken wir unsere Augenlider vor all den Schrecken dieser Schatten, unsere von der Sonne angesengten Lider aus Leder, leicht angekohlt und uns eine Maske ins Gesicht zeichnend gleich dem Tod aus einem Bilderbuch, der freundlich grinst, große dunkle Augenhöhlen, Zähne zeigend, wissend, gleichgültig, entschlossen nur zu einem Ziel. — Wir senken die Lider weil wir nicht mehr weiter wissen, weil der Schatten liegt vor uns, den wir nicht betreten dürfen, jeder Schritt würde jenen Schatten löschen, wir überschrieben ihn mit einem anderen. Was bloß ist aus uns geworden in all den Jahren? — Wir senken endlich die Lider, um den Schatten zu denken, der wir selber sind, frei zwar aber doch auch gefangen von dem Bild, das wir uns von uns machen, wenn wir auf den Boden starren und die Sonne ist fort im Rücken, sie lehnt sich irgendwo an eine Wolke an und wartet auf ein Zeichen. Doch unsere Taschen sind leer, hohl, ohne Zählsteine, in ihnen finden sich keine Zeichen, die wir anzubieten hätten, anbieten könnten, Zeichen, die auf etwas anderes zu verweisen die Sonne beschwichtigen würden. Und den Mond. Auch er ratlos. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Paradiesgärtlein

Ausgestorbenes Gärtlein, ungestörte Wonnen unterm Himmel, in dem die Geier kreisen ohne daß man sie sieht, ein Himmel voller Fliegerlärm, Donnerstimmen und Flugbefehlen, unter dem es sich duckt, sich versenkt und in dem es nach Salbei duftet und nach Rosen; was man aber denkt, was man aber denken kann, angesichts der Bedrohungen aus dem Himmel ist unerhört: lies nur, lies nur, was geben denn die Seiten her … oder sind sie womöglich leer? Man atmet den Duft des Rosts der jenseits der Einfriedung überwachsenen Panzer ein, Reste von Maschinenöl, die vergangene Geschichte, die noch nicht begonnene Geschichte, die Gegenwart … und auch das ist kein Trost, denn man spürt den Kitzel an den Füßen, Taubnessel und Gänseblümchen, Schlüsselblume und Maiglöckchen … jedoch, wir müssen weiter, weiter: Lilien zertreten und Veilchen; der Wegerich begleitet unser Staunen. Ein Tischchen, ein Glas, ein Körbchen in der Wiese, verschlafene Gesichter, Idylle pur, nature morte … alles versunken hinter Mauerzinnen. Wir singen unsere Lieder nur im Kopf, das Gras muss wieder wachsen, damit wir es irgendwann ausreißen und mit den Salamandern sprechen können — … sie aber schweigen, schweigen bis in alle Ewigkeit, die hier zur Ruhe gekommen ist: Ein Gebet, daß noch niemand gebetet, ein Lied, das noch nie jemand gesungen, ein Gedicht, das auf der Rückseite der Umfriedung geschrieben steht und das nur die Toten lesen können, die jenseits der Hölle begraben sind und bellend den Himmel bewachen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Plädoyer für eine Herrenrunde in der Hölle

Sollen wir nicht einfach hinabfahren? Hinabfahren in die Hölle, nach dort, was uns als Hölle geheißen in der Hitze unseres Übermuts, an dem wir zerschellen und in dessen Hitze wir zu verglühen drohen angesichts der immer neuen Feuer die wir entfachen mit den kleinen unsinnigen Hölzchen die wir in der Hosentasche tragen wie die gestohlenen Münzen aus Silber die wir reiben und reiben bis es zischt und knallt und pufft und zündelt an allen Ecken auf der Welt auch dort wo es kein Wasser zum Löschen gibt ganz so wie in unserem Kopf der immerzu dürstet nach frischen Gedanken die wir aufzuwärmen pflegen mit dem dürftigen Gerät das wir haben oder auch nicht haben denn was eigentlich besitzen wir in der dämmrigen Hitze am Lagerfeuer um das wir uns versammeln bevor uns der Gedanke überkommt daß es doch auch mal schön wäre in die Hölle hinabzufahren man hat ja schon soviel von ihr gehört um dort nachzufragen ob nicht noch irgendwo ein Plätzchen frei sei … am besten natürlich ein schöner bequemer Fensterplatz … — dann fragen wir uns: Können wir wirklich am Ende den Mut aufbringen dort hinabzusteigen, ohne Begleitung, ohne Seil, ohne festes Schuhwerk, ohne genau zu wissen was uns erwartet ohne Instruktionen, ohne Kompass, ohne Anleitung, ohne Gebrauchsanweisung und Kenntnis des Mechanismus des Guten und des Bösen und ohne ausreichende geistige Nahrung und mentale Schulung oberhalb des Niveaus der berühmt-berüchtigten Dienstmädchenpsychologie die ja eigentlich eine ausgeprägt männliche Kategorie zu sein scheint nach allem was man gesehen, gehört, erlebt, gelesen und vor allem am eigenen Leibe gespürt hat denn wer hat denn die Hefte in der Hand und schmiert sie voll von morgens bis abends mit den blutigen Griffeln und rissigen Nägeln und dem dreisten Grinsen im Gesicht vor den laufenden Kameras die diese Herren suchen finden und in die sie endlos gefährliche Dummheiten brabbeln als gäbe es dafür etwas umsonst? Im Prinzip wünscht man sich dort unten eine Herrenrunde — ohne Ausgang und Aussicht auf Rückkehr, wenn es sein muss auch mit einem elektrische betriebenen Kamin englischer Provenienz. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Rattenrudel im Rinnstein

Lustlos wandern wir den Berg hinan auf dem alles begann, von dessen Spitze die erste Rede gehalten, auf dessen höchstem Grat sich die Murmeltiere tummeln und uns auslachen; ihr Lachen schallt hinunter bis in das Tal, wo die Ratten sogleich aus ihren Ritzen springen, den Kindern an den Hals und den Hunden an die wedelnden Schwänze, die sie langsam abnagen; diese Rattenhorden fressen in diesen Momenten selbst den Asphalt, den sie mit ihrem Urin weich gespült haben, der in den gelben Rinnsteinen zu immer größer werdenden Rinnsalen sich ergießt und zuletzt die draußen vor den Toren der Stadt vor sich hindorrenden Wiesen endgültig löscht: Hier wächst kein Gras mehr. Hier stehen die Steine auf, hier wölbt sich der Himmel mehr als anderswo, hier legt sich kein Schaf mehr nieder. Leise singen die letzten Vögel auf den wenigen verbliebenen Ästen an verdorrten Bäumen, die jeden Moment umzustürzen drohen, klagende Lieder, zum Weinen schöne Melodien, langsam, verzweifelt, gleichsam so, als wollten sie der Musik zum Abschied singen … und den Menschen. — Man sieht niemanden mehr. Es verschmelzen mit der Zeit die Ränder der Städte mit den Rändern der sie umgebenden Landschaft, hohle schwarze Fenster hier und finstere Löcher in der Landschaft dort, aus denen Qualm ruckartig in den Himmel stößt, ganz so, als führe eine unterirdische Lok immer schneller um den Erdball, der langsam wieder zu einer gigantischen Scheibe mutiert, die nur noch um sich selbst rotiert, wie eine Schallplatte mit Sprung — in die aber alles, alles geritzt. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Rechenexempel

Genaue Zahlen hatte niemand: Alle stocherten in der gleichen Leere herum, in dem gleichen Pfuhl: er glich einem aufgeweichten Karton aus Wellpappe, durchlöchert, angeschimmelt am Boden, modrig, welk und feucht duftend (was die Sinne angriff und verstörte), ein Grab, in dem jedweder ein Geheimnis witterte … die Zahlen, die Zahlen … Heiliger Bimbam … man begab sich in Konkurrenz, man scherzte, man lächelte hinterlistig in der Anderen Gesichter, man schrieb und rechnete, stellte Gleichungen auf, unendliche Kolonnen von Zahlenwerk, Wurzeln, Teilungen und Multiplikationen — das waren noch die einfachsten Operationen —, verwarf sie wieder, lag über Kreuz mit den eigenen tauben Strategien, versuchte sich in der symmetrischen Differenz der Mengen, bildete echte Teilmengen, brachte transzendente, irrationale, rationale und wieder irrationale Zahlen ins Spiel, man schob Zahlenkolonnen in Stellung wie Truppen in der hügeligen Landschaft, man strich, addierte, man stritt über die Mächtigkeit des Kontinuums, über den Realteil der komplexen Zahl, über die eulersche Zahl, die Umkehr und Faltungen von Funktionen … dann lamentierte man endlich mit sich selbst, mit der eigenen Not, raufte sich das letzte Haar und schloß die Augen unter einem weithin vernehmbaren Stöhnen, aus dem Verzweiflung drang und Ohnmacht und Wut, Hilflosigkeit und Rastlosigkeit, Zorn und große Trauer … Immerwährende bitterhonigsüße Wehen, Ganzkörperwehen und Kopfweh, zwischendurch raue Gänsehaut und Schwindelanfälle im Nu, ein Kribbeln in den Zehen, schmerzende Handgelenke, erhöhter Augapfeldruck und zuletzt schwindende Sinne bis hin zur Übelkeit.  Doch die Leere blieb leer. Die Endsumme ein weißes Rauschen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Reise ans Ende des Lichts

Am Ufer … am Ufer … Welches Ufer, fragt Ihr. Ein anderes Wort nur für das, was wir den Rand nennen, den Rand. Alles … alles ist immer Rand: Ränder begrenzen Ränder, bilden Ufer, stehen an der Grenze von Rändern. Hier begannen wir unsere Lese —: Vor uns’ — ist außerhalb unserer Körper, unsere Haut ist Rand, ist diesseits des Ufers und jenseits des Ufers, ein Innen, ein Außen. Hier schlägt das Herz, dort ist eine andere Welt. —Hier schrieben wir einst das Jahr Null, hier stehen wir noch immer, zeitenlos, und wir schreiben in jedem Moment erneut das Jahr Null … das Jahr Null … dem wir nicht entkommen: jede Sekunde birgt ein Ende und einen Anfang. Der Rand ist kein Ort, das Ufer ist kein Ort. Beide sind allein Gezeiten, Gezeiten zwischen hier und jetzt: Augenblicksekunden des Schreckens und des Glücks … Dazwischen liegt das Unendliche, das Klare auch: die uns ewig fremd bleibende kalte Zwischenraumwelt, aus der heraus wir schreien wenn wir schreien, über alle Grenzen hinweg … eine Gratwanderung am Ufer entlang, auf beiden Seiten die Hölle; die unsere und die des Anderen, der wir auch sind. Ränder eben.— Was aber ist dies, wenn nicht ein nimmerwelker Blumenstrauß, der uns den Atem entführt über alle Grenzen hinaus. Die Zeit stiehlt sich fort, an den Ufern entlang, an den Rändern: ein schmaler Weg wie aus dünner Seide, unsichtbar gewirkt aus den Stoffen der Träume, die sich selber träumen, leicht wie eine vom Wind bewegte Wolke … wie das weiche Moos auf den Felsen … schwer wie ein Stein, der vom Herzen fällt … und schreit. — Für einen kurzen Moment, unermeßlich wie unerheblich, haben wir nur Ähren in der Hand, ein feines Bündel Ähren, deren wir habhaft geworden sind auf unserer zeitenlosen Reise ans Ende des Lichts, zwischen Rändern und Ufern, die unseren Weg säumten in jedem Augenblick. — In diese Augenblicke fällt die Zeit. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Reise ohne Wörterbuch



Atmen wir also weiter. Atmen wir weiter im Rhythmus der uns gegebenen Zeit, die uns verloren scheint, verloren … uns aber begleitet; — schauen wir den Vögeln zu, ihrem Schaukeln auf dem Wind der sie trägt an die Strände unserer Hoffnungen, die wir in uns tragen wie die Nächte, die Tage und die Möglichkeiten, die gleich weißem Schaum uns umgeben wie das uns umsäumende Band aus Anfang und Ende, Ruhe und Unruhe, Gefahr und Obacht. Dann hören wir das ferne leise Meeresrauschen in uns, gleiten in die dunkel–undurchsichtigen Tiefen dessen, was wir unsere Seele nennen wenn wir nicht weiter wissen; nie eigentlich wissen wir weiter — es geht weiter; das Leben schreitet voran ganz ohne unser Zutun, diesem Reflex auf das im Grunde unerhörte Geschehen um uns herum, dem wir Folge leisten ohne großen Widerstand, ohne Fragen, ohne Antworten und ohne Angst vor den Gefahren die uns drohen auf unserer Barke aus purem Dasein und der Lust voranzukommen als Ich, als Du, als Wir, denen wir begegnen im Sfumato der Bilder in denen wir leben, deren Teil wir sind, die wir mit uns selbst ausstaffieren (mit unserem Körper und unserem Geist), als gelte es auf dieser Bühne — diesem ewig lächerlichen und brüchigen Parkett — das Beste geben zu müssen, von dem wir aber nicht wissen ob es das Beste ist, was wir zu geben bereit sind, das wir in uns tragen ob so oder so – jedoch es ist einerlei ….  Das Wundern  — ja wir wundern uns ständig — liegt am Rand zum Ende, der auf uns ruht, der in uns ruht, an dem wir entlangschlittern mit unseren Tagträumen, an jenem unbefestigten Wegesrand; das Zögern ebenso, es begleitet uns als ein Fluch, nicht nur am Rande. — Dann schauen wir uns um, mit Vorsicht, wir regen uns, wir atmen an diesem Saum entlang, der ohne Richtung auskommt, der endlos ist, und ohne dieses verschollen gemeldete sagenumwobene Wörterbuch, in dem wir uns sehen und uns lesen und finden könnten wenn es dies Buch gäbe. ——


 

 

Schauspiel Naturraum, Samenfäden. Lehm. Wasser. Schilf.



… und dann spien die Engel ihre Unlust auf die Erde, angeekelt, des Theaters satt, der Ermahnungen müde, mit der Geduld am Ende, weil es half nichts; und was hatte man nicht alles versucht gegen diese Arroganz in Stiefeletten, die weißen Hemdkragen vor Mikrofonen, die nachgezogenen nassglänzenden Scheitel, die Mundfäule aus denen die Worte fielen wie durchgekauter Brei, die gefalteten Hände noch blutverschmiert, den Motorenlärm der alles erstickte, die Perlen an den welken Hälsen … sie spien auf die kontaminierte Erde, die Müllhalde. Das eingepferchte Vieh trampelte die Zäume nieder. Die Zaunkönige sangen ihre leisen Lieder. Der Mond schien auf die geschlossenen Blütenkelche. Kein Wille geschah, alles lief durcheinander. Samenfäden. Lehm. Wasser. Schilf. Sand. In den endlosen Weiten verloren alle Horizonte ihren Sinn, alle Wege führten in das schöne Nichts; es waren steinige Wege, deren Ränder Dornengestrüpp säumte. Maden labten sich im Matsch an dem Speichel der Engel, der aus dem Himmel fiel wie dereinst kühlender Regen. Endlose Kamelkarawanen trugen die letzten zerfetzten Zelte wer weiß wohin, in Scherben lagen die Reste der letzten Teeschalen im falben Sand, die Wanderdünen wanderten müde weiter, die Meere übergaben sich und spien ihrerseits ohne Pause Plastikmüll an die Strände, an denen die Toten lagen als schliefen sie; ihre Träume flogen verstört auf und bildeten Schwärme die den Himmel dunkel färbten und kein Licht mehr drang durch diesen Schleier hindurch; dunkel wurde es, schwarz, undurchdringlich, so als hielte die Götterschar entsetzt von ihrem Tun selbst sich die Hände vor ihre Augen: Finito, vorerst geschlossen; unter ihren Lidern die vor Scham geröteten ausgetrockneten Augäpfel — aus Scham, an all dem beteiligt gewesen zu sein, was zuvor geschah —, Augäpfel, die nie mehr würden weinen können. — »Schlaf ein mein Kind, schlaf ein …« war die letzte Mahnung die man von irgendwoher vernahm, das letzte gesprochene Wort. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Sanduhren, abgelaufen

Aufkommender Wind, der leis die Zweige der Bäume wiegt, in den Blättern sich verfängt und diese zum Tanzen bringt; ein Wind, der über die Ebene streicht, über die Leere, die sanft alles einfängt, die niemand und nichts zu bannen vermag. Graslandsteppe bis zum Horizont, hinter dem eine weitere leere Fläche sich erstreckt; einige gelbsandige Inseln nur im Grün, vereinzelt Bäume, mal mit, mal ohne Blattwerk, darüber ein ferner Himmel, weit, offen, sinnentleert bis an alle Ränder, hinter denen die toten Seelen ruhen, an die sich niemand mehr erinnern kann. Stille. — Ein nimmerendender Schlaf, den nunmehr keine Träume stören, keine Bilder, keine Lieder, keine Gespräche, keine Töne; kein Hundegebell, kein Heulen von Wölfen, kein Kirchturmglockengeläut, kein Gesumm von Insekten, kein Rascheln im Unterholz — alles gelegt; alles eingebettet in dem großen schweigenden Hohlraum, in dem nur das Echo seines Selbst seine kalte Schatten wirft, unerhört. — Moose, Farne Kakteen; Steine, Flieder, Schmetterlinge: gelöschte Erinnerungen und Ahnungen in der einsetzenden Abenddämmerung, im Spätherbst des Seins. Sanduhren abgelaufen, trübes Glas, versteinerte Schlieren, in deren Rillen sich Asche und Staub abgelagert haben. — Mit Sand gefüllte Münder, taube Ohren, lederne Gesichter, in denen die eingesunkenen, geschlossenen Lider sich ausnehmen wie auf ewig versperrte Gitter in den Hades.Wer erahnt schon, was hinter dem nächsten Horizont sich auftut? ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Sätze im Dunkeln



Die gesammelten und eingeschmolzenen Worte legen wir in unsere Münder wie Perlen in die Schalen vor dem Schlafengehen, keine Bedeutungen sollen für diese eine letzte Nacht aus ihnen erwachsen, kein Sinn soll seine Aura haben können die heraustritt aus diesem feuchten Dunkel, der Finsternis des tiefen endlosen Schweigens während des Schlafs der nur Minuten dauert, ewige Minuten aus Hell und Dunkel, leicht und schwer, hingestrichene Minuten, in denen keine Predigten gehalten, keine Gedichte reklamiert, keine Fahrpläne vorgelesen, keine Liebesbriefe geschrieben, keine Nachrichten gesprochen werden — wie wir doch diese nutzlosen Worte lieben, wie? Man schweigt aus Vorsicht. Man schweigt aus Not (es gibt nichts zu sagen); man schweigt aus Respekt vor der Grammatik (der eine schöne Satz auf dem Grund des Ozeans) und fährt mit der Zunge über diese eingeschlossenen Worte, wiegt sie ab; wir lassen uns die Süße oder Bitterkeit schmecken, legen sie bereit für den nächsten Fall in dem Worte benötigt werden um aus ihnen Sätze zu bilden … Sätze im Dunkeln oder bei Helligkeit, eh unbedeutend, ewige Litaneien, unaufrichtige Stoßgebete weil unser Gott ist tot (an den wir auch nie wirklich und ernsthaft geglaubt haben), begraben unter den vielen Worten, die zuvor aus unseren Mündern fielen wie faules Obst, angerändert, abgegriffen, durchgebrochen vom vielen Gebrauch, angestoßen unschön, madig, unbrauchbar, nur noch Verwirrung stiftend. — Am Morgen dann ist Blütenlese, wir stehlen uns fort aus unseren Träumen, sammeln die erinnerten Reste ein und legen sie mit Bedacht auf das weiße Laken, wir schließen erneut die Augenlider bis die Helligkeit durch sie fällt wie durch Gaze und wir nach dem ersten Wort suchen auf unseren Lippen … ein Wort, das dem Tag gerecht zu werden verspricht … ohne Garantie, ohne Glücksversprechen. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Schatten aus Gedankensilber

Ein Bild nach dem wir uns sehnen, ohne der Gefahr uns bewußt zu sein, was es heißt, Bilder zu bewohnen, nur Bilder … und nicht die Städte die wir bauen, das Feld das wir bestellen, die Straßen die wir befahren, die Gärten die wir anlegen …, nur immer wieder diese verstörenden oder auch beängstigenden Bilder; all dies gegen die Berge und die Meere und die Felsen die in diesen Bildern stehen und der Brandung trotzen obwohl … obwohl sie ständig abgeschliffen und zu Sand vermahlen werden, der unter den Füßen der Sand ist, auf dem hier sprichwörtlich alles gebaut … diese falschen Bilder in uns, aus heillosem illusorischem Flickwerk und aus unserer Unfähigkeit geboren, die Steppe zu bewohnen wie die Gazelle und der Leopard, im hohen Gras, unter der Weite eines hohen sich wölbenden Himmels, aus dem die Blitze fahren, der Regen fällt, die Stürme beginnen, die längst in uns sind, weshalb wir uns schützen, schützen müssen: Ja, ein schützendes Dach, uns ummantelnde Mauern aus Stein, dem Fels abgerungen, aufgelesen auf dem Feld, dem Grasland, das unsere Toten birgt und ihr Blut … aus den Schlachten, die hier einst geschlagen. Warme Schafe liegen dort im Schatten der Mauern im Gelb der Sonne, im Grün der Wiesen, Totenhügel, aufgeworfen mit dem Spaten zwischen den versiegenden Stunden, ein Grab für zwei, eine Stele mit unverständlichen Worten, da alle allen gleichen … ein Strom von Gedanken in Worte gefasst, die nur der Tod versteht, weshalb er es nicht eilig hat und warten kann, im Schatten, diesem schönen Schatten aus Gedankensilber und Mondscheinglanz … und doch so dunkel wie die Zeltplane, auf die wir unsere Sterne malen, wenn es dunkel geworden ist und uns der Schlaf übermannt — in Ewigkeit ohne Träume. ——


 

 

Schauspiel Naturraum, Schweigen, Losigkeiten

Man spricht, man flüstert, man weiß nicht ob man denkt (was ist das: Denken?) … man bewegt die Lippen, schließt die Augen, man sitzt ruhig da, beinahe bewegungslos, man spürt sich als etwas das ist … ein Wirklichkeitsschub, ein Kokon aus Atem und Atmen, aus Fleisch und Geist, aus Nähe und Ferne, aus Gedankensilber und Sternenstaub (aus dem alles gemacht) … der Puls ein gleitendes Wogen auf undeutlich gedachten Sätzen, Worten und Wortpartikeln: kein Ziel, kein Wille, keine Absicht, kein Suchen nach Bedeutung (bloß das nicht), eine feine Kette aus Umständen, Satzpartikeln, aus aufkeimenden Erkenntnissen, die aus der uns umgebenden Stille wie Schemen kurz aufschimmern, undeutlich bis zu einem bestimmten Moment, dann verschwinden sie oder nehmen Kontur an, man konzentriert sich oder auch nicht (es ist ein wenig wie im Halbschlaf zwischen träumen und wachen), das entscheidet man von Fall zu Fall, von Melodie zu Melodie, von Rhythmus zu Rhythmus, von Klangfarbe zu Klangfarbe, von denen die Worte und Gedankensplitter getragen und im Zaum gehalten werden … zuletzt auch von den Lichtwerten, ihrem entscheidenden Wert im lockren Kontext der aufscheinenden Möglichkeiten, dem Gedachten Sinn zu verleihen … ein Vorgang des Sinterns, ein Vorgang der im Schritttempo der Zeit erfolgt, mal geschwind, mal wie ein vorsichtig vorbeihuschender Schatten an der Wand, mal schleichend wie ein sich auf ein Opfer zubewegendes Tier in der Savanne … man denkt in solchen Momenten an sich selbst entlang, wie an einer Mauer auf dem Heimweg in der Nacht bei absoluter Dunkelheit, einer Mauer, die einem Schutz gewährt, man schmiegt sich an die wenigen gültigen vorhandenen Worte, die man mit anderen verbindet, man schält sie frei, lädt sie auf, entläßt sie wieder … Erkennen? Nichts. Erkenntnis? Null. Wie alles, wie immer, wie gehabt und jäh verloren — bedeutungslos. Losigkeiten, Ränder. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Schweigsamkeit

Ein Gleichnis von gleich hohen Blüten aus rotem Staub und gleißendem Licht, aus glitzernden Sternen, die aus weißemWasserdampf aufstiegen, und einer Schar von Salamandern, die regungslos am Ufersaum lagen und deren Köpfe alle in eine Richtung schauten; lieber dort begraben liegen als hier, im Grün der feuchten Wildnis aus Limonengras, welkem Lorbeer und Farnen, deren Spitzen vergoldet waren. Der silberne Himmel, der alles überwölbte, schwieg sich aus.Aus den einsam verstreut liegenden Erdhöhlen entwich hin und wieder ein Geräusch, das wie ein Stöhnen klang, dann wieder wie ein leises Seufzen aus den Untiefen des klarenBewusstseins und dem Wissen, daß alles sich dem Ende zuneigte, das von hier aus seinen Ausgang nahm und auch hierher zurückzukehren sich anschickte. Blauer Dunst in den Tiefen der Wälder. Unendliches Schweigen auf den gleißend hellen Schollen aus hellrotem Eis. Stilles Empören beim Blick in die Mittagssonne, deren weißes Gelb in die schutzlosen Augäpfel stach und hier verglühte. Da sann die Welt über sich selber nach, ihrer Natur nach gleichgültig gegenüber dem Geschehen, dem versiegenden Nachdenken über das Glück, die Heimat, die blühenden Blumen und den bevorstehenden Stillstand, aus dem etwas Neues erwachsen konnte, wenn sie sich nur weiterdrehte im endlosenAll aus Sternenstaub und Dunkelheit und ihrer reinen Wesenheit. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Selbstgespräche



… man spricht dann in sich hinein, mehr ein Murmeln ohne die Lippen zu bewegen, gleichsam so, als meine man jemand anderen und sähe nicht, daß es immer Spiegel sind die uns umgeben und uns sehen und hören, Spiegel, die wir manchmal anhimmeln (eher selten), die wir oftmals skeptisch auskundschaften nicht nur nach uns selbst, denen wir aber im Prinzip nicht über den Weg trauen; von denen wir annehmen, daß sie lügen und uns verraten gleich beim ersten Blickkontakt schon am frühen Morgen, wenn der Wasserdampf das Bad verhüllt, wir noch müden Augs und kontaminiert von unseren Träumen sind, verstört und ein wenig unsicher noch, ob dies ein Tag werden könnte der unser ist, wenn das erste kalte Wasser unsere Physiognomie mühsam aufzufrischen versucht, die, ja die mit den Falten aus Leben und Nachlässigkeit, aus Trotz und Eitelkeit, aus Faß–Mich–Nicht–An, Melancholie und Wut über die verlorenen Zeichen der Frische aus Jugend und Stolz, Frechheit und dem schelmischen Grinsen wenn uns etwas nicht gepasst hat. — Na ja, wie gesagt, man spricht dann in sich hinein, versehen jedoch mit einem gewissen Abstand, weil man erkennt dann mehr von den Nöten die uns umgeben, von den Mühen der durchquerten Ebenen mit den ausgefransten Rändern und den liegengebliebenen Möglichkeiten, die nun wie rostige und uns fremde Relikte in unseren Erinnerungshöhlen nisten. Was man in sich hineinspricht ist nicht ganz klar, wir jonglieren eher mit unfertigen Gedanken, mit Bildern, wir assoziieren mehr freihändig und frei flottierend als daß wir zuvor denken, denken um uns gewiss zu sein, um Klarheit zu gewinnen, die jedoch eh nur um einen sehr sehr hohen Preis zu haben ist, ein Preis, den wir wahrscheinlich nicht zu zahlen bereit sind. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, So ging die Zeit dahin

Lichtes Grün, hell, angenehm vibrierend, gleich einem Summen in Farben, leise, am Rand aller Ränder die das Land markierten, es einhegten, ihm Schutz boten … vor allem vor den Göttern, die nurmehr zu Lande reisten auf der Suche nach Gläubigen; sie reisten nur bei Nacht, um nicht gesehen zu werden;  um sich nicht schämen zu müssen, um den Spiegeln auszuweichen in denen sie womöglich aufschienen als das was sie waren. Sie flüsterten hinter vorgehaltener Hand; auch dies ein flimmerndes leises Surren in der Dunkelheit. Abermals senkten sich die Monde zu ihnen hinunter um sie anzutreiben und an den grünen Rändern vorbeizulenken, an dem eingehegten Frieden vorbei den sie nur zu stören vermochten, ließe man sie in seine Nähe kommen; stilles Buschwerk, namenlose Ruhe aus Wachs im tiefen Schnee aus dem sie kamen … dann unruhiges Scharren der Pamphlete die sie verloren auf ihrer Reise, ihrem endlosen Marsch durch das Dickicht aus Schaum im hügeligen Gelände das keine Grenzen kannte; nur ein Marschbefehl aus dem rot eingefärbten Himmel ohne Gewölk; ein scheinbar verlorenes Volk. Wer  nur hatte sie losgeschickt? Was war vor ihnen? Wann wollten sie endlich Ruhe geben? Man konnte ihnen nicht trauen; zu viele Lügen lagen verstreut auf ihren hinter ihnen liegenden Wegen, zu viele leere Versprechungen, zu viele Schuldscheine und falsche Wechsel die nie eingelöst wurden, zu viele falsche Botschaften, verlesen in den Kirchen, und auf den Marktplätzen, und in den Fußgängerzonen in den auf Pump errichteten Städten, die nun im Sand versanken und an wasserlose Savannen grenzten. — Lichtes Grün, ja, hell, angenehm vibrierend, gleich einem Summen in allen Farben, auf denen nun die Engel saßen mit ihrem bunten Naschwerk, ihrer falben Zuckerwatte … die Götter verlachend und sie für unzurechnungsfähig erklärend. So ging die Zeit dahin, wartend auf die nächste Dämmerung; einsam und allein. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum,  Spinnennetze aus Flötentönen

Wie ein Spinnennetz gewoben, zart, fein, durchsichtig, kunstvoll gewirkt von Meisterhand: ein Phänomen aus dem Paradies der Hölle. So müssen wir wohl unsere karge Seelenlandschaft lesen, diese unergründliche und uns immer fremde Landschaft nah bei unseren wirren Gedankengängen, in denen die Stürme der Vernunft wüten und kreisen und schlaufenartig sich in sich selbst verstricken in den zahlreichen Momenten der zuletzt feigen Flucht vor dem einen Gedanken der die Wahrheit spricht, dem einen Wort … weil sonst wären wir längst tot …  tot … — In dieser Landschaft sind sie eingebettet: die gigantischen Schlangennester (sich windende Schlangen, ein grandioses sich bewegendes silbriggraues Muster …), die Rattennester (ein zartes endloses böses helles Quietschen und Fiepen …), dann die unendlich große Termitenfelder (die als eine erschreckende flimmernde Steppe das Land bis zu jedem Horizont bedeckt …) — hinter allem aufragend der gigantische Vulkan, der rastlos Gedanken speit in das gleißende Himmelszelt, in dem die Weltseele wohnt (wenn man den Gelehrten, den Philosophen, den Priestern, den Scharlatanen Glauben schenkt). Hier kommen sie ins Spiel: die weisen Schlangenbeschwörer mit ihren kurzen Flöten, ihrem irren, ihrem irrigen und alles betörenden Spiel, das Melodien produziert die wie Drogen wirken und wirr machen … und betäuben … und zu dem sich das laut trompetende und hell geigende Getöse in unseren Konzerthäusern ausnimmt wie lustige Volkslieder. Es sind  diese Spinnennetze aus Flötentönen die sich ihre Wege langsam aber unaufhaltsam durch das Dickicht dieser Weltseele bahnen und sich verbinden zu einem großen Kokon in dem alles haust, Mensch und Tier und Baum und Ding, Liebe und Wut und Hass und alle nunmehr leeren Gedankengebäude die dieses Denken säumen wie das undurchdringliche Schilf einst den See Genezareth … und  das Wort, das Wort, das, derart gefangen,  nicht mehr erklärt. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Sternenstaub

Alles, alles — aus dem Nichts … das es nicht gibt. Ein Traum, in der Savanne geträumt von sich selbst, im Schattenland des Pinienwaldes der nur ein Traum dieses Traumes ist … ein Sandkorn, das sich ins Auge legt, auf den Augapfel, dann in den Traum, den es sieht, wenn es seine Lider senkt. Ein Fall —: Undenkbar, unsichtbar, weil verborgen im großen Schlaf, der dieses alles birgt. Wir aber sehen die Sterne die aus den Träumen fallen in die Augen, denen die schwarze Schlange in der Nacht die Augäpfel mit ihrer Zunge bestreicht, bevor ein Greif aus dem Dickicht den Marder würgt, die Katze die Maus sich zurichtet, die Eule die Nacht besingt und der Fuchs seine eigene Zunge frisst im Glanz der grünen Wolke in der er gefangen ist wie in einem Kokon aus der Seide und dem Schwarz des Himmels der sich über alles wölbt … Hier nun stimmt der Wolf sein Lied an, fast ein Gebet, unheimlich — aber schön; wir schauen betreten in das Feld der Unruhe, die uns längst beschlichen hat: Das Leben das sich selbst genügt in ihrem bescheidenen fahlen Glanz, der nichts erklärt und unendlich langsam durchsichtiger wird und durchsichtiger … zuletzt aber die Sicht freigibt auf das Glück, das jedoch niemand schauen kann, weil alles ist nur ein Traum, der hinter fest geschlossenen Lidern seine schönen Runden dreht und gleich einem weißen Schwan in der Abenddämmerung nur bei sich selbst ist und dann vergeht hinter tausend Stirnfeldern aus undurchdringlichem und unbeschreiblich kaltem Marmor, dessen Adern im Mondschein glänzen, als wollten sie etwas sagen zum Kern, zum Nukleus dieses kalten Blocks, der nur aus grauer Asche besteht, und aus Sternenstaub … was sein Geheimnis ist und bleibt. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Stille unter der Schädeldecke

Am Ufersaum der seicht samtene Wellenschlag, kleine kurze Wellen in der Windstille, die trotzdem das helle, graugrüne, in die Fläche gewachsene Schilfgras am Ufer wiegt und seiner Oberfläche seidene Wogen einschreibt, silbern glitzernd an den Spitzen … Wogen, die gleich den Wellen sanft unsere Augen streicheln und im Nu etwas in unserm Innern berühren … was genau, das weiß man nicht, unser Körper ist körperlos, wir spüren ihn nicht. Man sitzt bewegungslos und willenlos da und schaut auf diese Wasseroberfläche mit den an den Uferrändern auflaufenden kleinen weißgekräuselten Wellen und auf dieses Gras, auf diese Bewegung, von der man nicht weiß woher sie rührt — vielleicht ist es unser Atem, das Auf und Ab unsres Brustkorbs, unser Augenaufschlag. Dieselbe Stille, die sich auch unter der porösen Schädeldecke aufhält, wird einzig durch unkontrollierte Denkvorgänge und rasche Assoziationsketten durchwirkt: lautlose Stimmen, Babylonisches, Fremdsprachenfetzen, Unverständliches, Geflüstertes … ein vibrierender surrender Schwarm Insekten hinter den für den Moment geschlossenen Augenlidern … dann leichte Verfärbungen am Himmel … langsam, doch sehr stetig vor sich gehende Veränderungen, vom Gehirn und den Augen gleichsam unnotierbar wie die Bewegung des Voranschreitens der Stundenzeiger auf unseren Uhren. In der Ferne landet eine Wildgans auf dem Wasser, nicht zu hören der Wellenschlag, der einer breiter und länger werdenden Furche gleicht, die das Wasser sogleich wieder schließt. Am Ufer gegenüber der wie hingestrichen wirkende Waldrand, dunkelgrün, fast schwarz, Bäume mit dem Wurzelwerk im Wasser und im Sand, der ja im Prinzip nur der zerriebene Rest von etwas anderem ist, von etwas, das einmal war und nie wiederkehrt, wie die Gedanken die in unserem Kopf umherkreisen und schöne kleine Wirbel und Wellen erzeugen aus unpräzisen Erinnerungen, unscharfen Träumen und deren Bildern und endlosen Geschichten, die man irgendwann irgendwo — in einem Beduinenzelt oder an einem anderen Ufersaum, einem Strand, vorgelesen oder erzählt bekommen hat. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Tel Quel— Im Schwemmland des Nichts

An welchen erzählten Geschichten sollen oder können wir noch entlangleben, an welchen Gedanken? —Die großen einsamen Seen sind aus Tränen gemacht, das Schilf der Ufer aus Schuld und Unschuld, Angst und der Prophetie, daß diese tiefen Seen niemals austrocknen werden. Das Treibholz auf ihnen rührt von den Vergeblichkeiten her, von der Trauer über die Verluste an den Stränden, an denen einst geliebt wurde. Das Moos auf unseren Knien zeugt von unserer Tatenlosigkeit. Das Wild in den Wäldern schläft zwischen den hohen Farnen. Alles was man zu hören bekommt ist ein Knistern, ein leises Zischeln, Geräusche die sich wie das Flüstern von Engeln anhören, deren die Flügel weggebrochen sind während der Kämpfe in den Stierkampfarenen, in denen der Sand getränkt ist mit dem Blut der vergeblich geschlachteten Opfertiere. — Ein Butterblumenfeld mitten in der Savanne unter einem weißblauen Himmelszelt, dessen Wölbung an den Rändern den Horizont berührt hinter dem jedoch keine neuen Horizonte mehr warten. Keine Wolken, keine Blitze, kein Regen, kein Wind; seismographisch ein Nullpunkt, die absolute Ruhe, da auch die Vulkane sich nicht mehr mühen Asche auszustoßen, Feuer zu speien und tief dort unten zu rumoren. Hier und da gefrorenes rotes Eis, erstarrte Palmwedel, Ruinen, graue Asphaltstriche gegen den Rand zu, gesäumt von Sprachlosigkeit und Büchern mit leeren brüchigen Seiten. — Schuld und Unschuld, Angst und Prophetie — von welchen Göttern also reden wir an diesem letzten Abend, diesem Abschied? Ein schwarzer Würfel, eine Pyramide, eine Kathedrale, ein Tempel, ein paar heilige Berge — verlorene Posten die nur noch von sich selber handeln können im Schwemmland des Nichts. Hier verstummen nun auch das Knistern, das leise Zischeln und das Flüstern der Engel; ihre zerbrochenen Flügel liegen reglos im Staub neben einer goldenen Münze, auf denen einzig zwei Worte geprägt sind: Tel Quel. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Träume flanieren, gehen in uns spazieren



… oder es war, wie er es einmal sagte, als klopften die Träume von innen an, als wollten sie sich bemerkbar machen, sich melden, hinaus, hinaus ins reinigende Gewitter der Helle, gleichsam als Spähtrupp der Wahrheit die in ihnen sei, dieser sagenumwobenen Mär aus dem Unbewußten, aus der Kälte, dem Frost der Liebe, den nach innen geweinten Tränen, wenn der Kopf schwer des Nachts auf den Kissen liegt. Nichts, sagte er, könne schwerer sein als dieser Kopf, angefüllt mit dem Schutt der Jahre, den Bildern, all den Gedichten und Geschichten die in den Bibliotheken ruhen und schwatzen und sich unter der imaginären nächtlich von Insekten umschwirrten Laterne aus den La femme 100 têtes von Max Ernst treffen um zu verglühen wie diese Insekten … doch zuvor sich selbst besingen wie im Traum … »et les papillons se mettent à chanter« … Nichts, auch das waren seine Worte, könne verhindern, daß diese Träume heimlich ausbrechen, das Weite suchen, den Horizont auch ohne das vorherige Klopfen erreichen, sie seien imstande, das Innen zu überwinden, nein, uns zu überwinden, uns zu ihren Handlangern zu degradieren, sich unseres Ichs zu bemächtigen bevor ihnen ihr ephemeres Dasein als ihre eigene stets flüchtige Traumgestalt auch nur ansatzweise zu Bewusstsein kommen könne … aber dafür seien sie auch nicht da … nicht zuständig … und dafür seien sie auch nicht verantwortlich zu machen, sagte er zuletzt. — Träume aber können weinen, ihre Tränen ruhen dann auf unseren Augenlidern wie frischer Tau, so fein, das wir ihn nicht spüren. Auch Träume können in der Kälte dort oben klirren wie Fahnen im Wind, danach, wenn all ihre Geschichten erzählt sind. Auch Träume können vor verketteten Gittern stehen, die nichts mehr öffnen kann. Auch Träume können auf Klippen verharren und nicht mehr weiter wissen … sie flanieren ziellos, gehen in uns spazieren, sie lüften leis den Hut, manchmal grüßen sie schweren Herzens unter verhangenem Wolkenhimmel … aber nur bei lauem Wind, und nur von dort oben, von den für uns unerreichbaren schroffen Klippen, unserem Lippensaum … ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Trost in der Steppe

Rand. Rand oder Steppe. Aber ist es nicht immer die Steppe, die sich ausbreitet vor uns? Ist es nicht die Steppe, die wir bewohnen? Ist sie nicht in uns, diese Steppe, aus der wir kommen, in der wir uns bewegen, in der die roten Hirsche stehen, still, bewegungslos, Atem holend, nach Luft ringend wie wir, die wir, orientierungslos wie allezeit, weil uns die Träume die Luft abzuschnüren drohen, umherstreunen in unserem eigenen Unterholz, unseren dunklen Gedankengängen ohne Beschilderung, die mit Samt ausgeschlagen sind und keinen Ausgang aufweisen? — Das Lied ist alt. Die schöne Melodie verbraucht, der Text nunmehr lückenhaft. Wir stammeln im Rhythmus der Klopfgeräusche, die aus dem Orkus dringen; um uns herum die Steppe, Grasland vielleicht, Maulwurfshügel, braun, ein paar wenige, aus denen feine Töne dringen, das einzige Geräusch, das Trost spendet. Trost in der Steppe. Und dann nur immer wieder der Rand, den wir fliehen, der uns verräterisch erscheint ob seines formalen Endes, das er verheißt, obwohl … man schlägt ein Buch auf, das letzte, aus dem die letzten Seiten herausgerissen sind, es waren die mit den Schlangen und Salamandern, mit den Anemonen im Garten, mit dem Duft der beschrieben und der jedem Leser in die Nase stieg dereinst, als Lesen noch Früchte trug, als unsere Stirne etwas barg, etwas, wegen dessen es sich lohnte zu leben… jedoch: Alle Feuer gelöscht. Die Steppe versengt. Die wenigen Bäume kahl, ihre Rinden verschorft. Wir frieren. Der Samt wärmt nicht mehr. Die Sterne liegen verstreut umher, dieFüchse laben sich an ihnen. Dann schlafen wir ein. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Trügerischer Glanz

Wie entkommen dieser Szenerie, die in graue Schwaden gehüllt ist, die nichts erkennen lassen und undurchsichtig sind wie der Stein der Weisen, meliert einzig durch die ewige grausame Kälte der Vernunft, von der man einst sagte, daß sie siegen und uns das Glück spiegeln, daß sie das Schöne, Wahre, Gute berge und es im Nu freisetzen und es uns zukommen lassen werde: ein endloses Wehen schöner Worte, geistreich hingesprochen, hingestrichen, hingeschrieben, Bücher, die Bibliotheken füllen, fünf mal so groß wie die des legendären Alexandriens, am Meer liegend, vor sich die Weite der Möglichkeiten der Wahrheit, hinaussegelnd ins Freie, ja, ins Freie mein Freund? Wollten wir diese Szenerie malen auf ein Tuch, es würde fauchend zerreißen schon beim ersten Gedanken, der dem ersten Pinselstrich voranginge; die Farben auf der Palette ergäben ein Bild der Wüstenei, eines grauen Einerlei aus Gestrüpp und welkem Grün, das so sehr dem Gedankenbild und dem Gedankengestrüpp gleicht, das in unseren Köpfen vom Naturraum entsteht, wollten wir ihn denken, ihn sehen, ihn weiterdenken, ihn einlassen in unsere verlassenen, einsamen Nächte mit der ewigen Finsternis aus Traum und den ungezählten ungehörten Schreien, die einem andern Traum entweichen wie übler Atem dem Vulkan, den wir bewohnen und dessen Grund wir mit Eis bedecken um nicht umzukommen in dem Schlamm der uns bewohnt. — Dann gleißt eine Sonne in dieses Bild, sie übermalt unsere Hoffnungen auf dieses Traumbild mit einer Schicht Firnis, die uns blenden macht …und schuldig spricht: waren wir doch selbst der Grund, und unser Speichel nur der trügerische klebrige Glanz, der längst verblichen ist. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Unbeschwert und voller Zuversicht

Es gibt sie, diese Tage, in die hinein man seine Lieder singt, ganz unbeschwert und voller Zuversicht. Man ist gelöst, man wischt die Sterne weg und übersieht den Horizont, der alles einzuhegen pflegt, das Blaue vom Himmel verspricht und seine Linien zieht ganz wie es ihm beliebt. Man schreitet aus, ist Luftikus und Wind zugleich, der eigene Atem trägt einen fort, durch die Schluchten der Straßen, über Wiesen und Felder, durch Gebirg oder am Meeressaum entlang, wo aus den Muscheln ein freundliches Flüstern dringt und Sternensilber aus dem Himmel auf die Wellen fällt. Man läuft und siegt, man wandert umher und lacht und fasst sich an die Nasenspitze vor lauter Glück und Wohl und Freude am Leben zu sein. Was aber ist dies — das Leben? Wie ist es wann in einen selbst gefahren? Wo führt es hin? Was hält es für einen selbst bereit? Ist es vielleicht nur für dieses Tage gebaut …—: diese Tage, in die hinein man seine Lieder singt, ganz unbeschwert und voller Zuversicht? Man ist gelöst, man wischt die Sterne weg und übersieht den Horizont, der alles einzuhegen pflegt, das Blaue vom Himmel verspricht und seine Linien zieht ganz wie es ihn beliebt? Man schreitet aus, ist Luftikus und Wind zugleich, der eigene Atem trägt einen fort, durch die Schluchten der Straßen, über Wiesen und Felder, durch Gebirg oder am Meeressaum entlang, wo aus den Muscheln ein freundliches Flüstern dringt und Sternensilber aus dem Himmel auf die Wellen fällt? So ist es wohl: Man läuft und siegt, man wandert umher und lacht und fasst sich an die Nasenspitze vor lauter Glück und Wohl und Freude am Leben zu sein an einem solchen schönen Tag am Morgen schon. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Und unbewegt steht still kein Mond

Sanfte Farben, die am Horizont Himmel und Erde miteinander versöhnen, verspielte Wolkenformationen in grau und weiß, hoch, fern, vom leichten Wind getrieben … eine unendliche Weite, fahlgelbes Grasland, wogende Fleckenfelder, eingeflochtene, beinah schmerzende Stille … im Prinzip jedoch schaut man nur in das lichte blendende Selbst, hierhergetrieben, bis an diesen unüberwindlichen Rand, der einem das vor den Augen sich ausbreitende Land versperrt, man weiß nicht wie, man weiß nicht warum, man weiß auch nicht den Sinn … ein Zurück ist ausgeschlossen, selbst der Blick zurück wird einem versagt … vor dir nur eine flache Ebene, die sanft daliegt wie ein Bild, in dem unaufhörlich das Gras sich leise wiegt und darüber die Wolken dahinfahren … in den Ohren rauscht ruhig und falb eine Meeresbrandung von wer weiß woher, als wolle sie nicht stören, aber sie ist da und färbt die Szene ein … ein sich selbst meditierendes Bild, eine ungestörte, doch vibrierende Idylle, eine weise hingetuschte Ewigkeitsidylle, aus der es kein Entrinnen gibt und in die etwas einzubrechen droht, doch man weiß nicht was und wann, denn es gibt keine Zeit, keine Nacht, keinen Tag, keinen Morgen und keinen Abend, eine Zeitschlaufe ohne Beginn und ohne Ende … nur hier und da bricht eine Silbe ein am Lippensaum, ein Wagnis, taub sich selbst gegenüber, unerhört … und unbewegt steht still kein Mond, die Uhren ticken andernorts … rauschbereites Warten gegen den Uhrzeigersinn … und sanfte Farben, die am Horizont Himmel und Erde versöhnen: als ein Versprechen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Unser Bild von uns im Sand… vom Wind verweht

Das Bild das wir von uns malen, in den Sand zeichnen, hinter unserer Stirn entwerfen und doch wieder und wieder verwerfen, das Bild, das uns täglich aus den Augen fällt wie reifes Obst vom Baum, das Bild das wir auch mit zugekniffenen Augen nicht erkennen, weil es das heilige Versprechen nicht einlöst, das wir von ihm verlangen, dieses Bild, aus Unlust und doch mit Chuzpe gemalt, eingebettet in das große Ganze das wir nicht verstehen, angesengt an jeder Ecke von unserer Unfähigkeit uns länger im Spiegel anzuschauen als wie es dauert, den Scheitel nachzuziehen — so lange hineinzustarren bis er springt —, dies Bild, gelocht von den fatalen Erinnerungslücken die das Craquelé unseres Lebensentwurfes durchwirkt … dieses Bild, als Versuch eines Selbstbildnisses unter Tränen, die uns den Blick trüben und ihn verzehren und uns den Wasserdampf einatmen lassen, der auf dem Augapfel ruht als Silbersee der einen Schatz zu bergen sucht, dieses Bild aus niemals gelingender Selbstvergewisserung, ein Gedanke, der jederzeit mitschwingt, niemals sich löst von uns, und der Not, dieses Bild gegen alle Widerstände entwerfen zu wollen, jedoch ohne eine Idee von ihm zu haben, die sich nicht schon verfestigt hätte in der ewigen Klischeehaftigkeit ihres eigenen Entwurfes … dieses Bild entfernt sich in einem fort unmerklich von uns, es wird desto unerreichbarer, je mehr wir es herbeiwünschen, es herbeisehnen, es in uns einzulassen verlangen … um schließlich zuletzt mit ihm zu verschmelzen auf einer Leinwand des nie geschauten Glücks, die jeden Augenblick fauchend zu zerreißen und uns zu entschwinden und uns mit unserem Malwerkzeug allein zurückzulassen droht. Dies Bild, magisch–trüb, falb im Zentrum und leer an seinen Rändern; es birgt uns nicht: Sand, vom Wind verweht. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Verborgene Welten

Die Männer mit den roten Mützen, Hüten und Fezen schauen auf uns aus den Bildern heraus, schauen in den Museumssaal, erspähen das Geschehen; sie blicken gelassen drein, unbewegte Mienen aus Ernst und Nachdenklichkeit, Neugier und Spott, Versonnenheit und Verlorenheit, sie blicken in diese vor ihnen schwebende Leere, in dieses Vakuum das sich zwischen ihnen und uns auffaltet und uns gemahnt, genauer hinzuschauen, ihre Mimik zu lesen vor dem Hintergrund aus erdachter Landschaft mit Bäumen, Büschen, Flüssen und Hügeln, und Gebäuden oder Türme mit Zinnen, mit sich irgendwo dort hinten verlaufenen und endenden Wegen, darüber Himmel, Gewölk, manchmal Vögel, Silberstreifen oder eine dunkle verwegen drohende Gewitterstimmung … — aber diese Ruhe, diese Stille, die alle und jedwede Töne absorbierende Reglosigkeit der stummen Leinwand, die an manchen Stellen gleichsam zu atmen scheint im Rhythmus unseres Atems beim Betrachten der Vorgänge hinter dem imaginären leis sich wiegenden Vorhang aus Gedanken und Assoziationen zu dieser dort aufblühenden fernen leisen Welt, zu der wir keinen Zutritt haben, die uns zuweilen lähmt ob ihrer Versprechen, ihrer Zeichenhaftigkeit (die uns wiederum zu mahnen scheint) und der vermeintlichen Glückseligkeit die aus der Ordnung des Bildes erwächst, dieser Komposition aus wohlarrangierten Partikeln aus unscharfen und nicht zu identifizierten Naturräumen, aus physiognomisch undurchdringlichen menschlichen Portraits und Gestalten, prächtiger und farbiger Kleidung und wohl platzierten Dingen mit den präzis gesetzten silberweißen, lichtreflektierenden Punkten, die sie uns sanft aber nachdrücklich in das Blickfeld schieben …— Wir? Wir hören nur noch, aus dem Saal nebenan herrührend wie aus der Ferne, das sanfte Geräusch von langsam und behutsam, in einem ruhigen und beruhigendem Takt auf das Parkett gesetzten Stöckelschuhen. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Verlorenes Wettrennen gegen die Zeit

Oder wir schlafen ein … »wir suchen das Weite«, das uns etwas verspricht von dem wir nicht wissen was … und doch wächst uns das Gras aus dem Mund, das grün ist und an das Moos reicht, das unseren Körper bedeckt, unseren Körper, der träumt im tiefen Schlaf aus Gefühl und Schmerz unter den Lianen, an denen wir uns durch das Leben hangeln, als seien wir unter einer Zirkuskuppel, die aber nichts weiter ist als unsere Hirnwölbung aus gesprungenem Glas und erstarrtem Zuckerwerk, trüb an den Rändern, falb und gelblich schimmernd in der Mitte, aus der alles vertrieben ist, was sich nicht lesen lässt, unverdaubar geworden ist: Haltbarkeitsdatum abgelaufen, ein verlorenes Wettrennen gegen die Zeit, deren Fäden immer wieder reißen, weil sie sich doch nicht dehnen läßt wie uns einst versprochen an einem anderen Rand, der sich ausnahm wie ein endloser Grat auf dem Gipfel des Vulkans, der wir selber sind und den wir niemals erkalten sehen, weil immer etwas rumort in uns, in unseren Eingeweiden aus Unglück und Warten, Schlick und Sand, der durch die Uhr rieselt, die an unserer Seite wacht, wenn wir eingeschlafen sind und träumen und und unsere Augenlider zucken ob der bösen Bilder die hinter ihnen wüten und uns dann am Morgen begegnen, uns verstören, uns den Atem rauben; der stockt. — Eine Weile haben wir geschlafen, nun sind wir matter als zuvor, durstig, nervös, mit schwachen Erinnerungen beladen und mit Bildern, die jemand uns verwischt, die bleiben: ein Vulkan, eine Ruhestatt, und ein Gewölbe aus gesprungenem Glas und feinem Sand, der uns als nicht mehrmessbare Zeit durch die verwelkten Finger rieselt. — Schöne Stille. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Verwahrloste Gärten der Philosophie

Eine Losung ist nicht in Sicht, wir tasten weiter im Dunkelraum aus fahler Asche und dem Fell versengter Tierkadaver; alles Weiche und Samtene verflogen, die Blicke aus den einst wachen Augen in der Erinnerung verstörend, die Salbe auf unseren Wunden brennt, unsere Seele schreit lautlos und fragt uns ins Gesicht, das verheert ist von den Geschichten, den Bildern, den Träumen aus Glas, dem Gesehenen an der Oberfläche, wer wir denn sind … — ja, es ist doch immer nur diese Oberfläche … aber sie ist die einzige Wahrheit die wir haben, eine andere gibt es nicht weil: was dahinter oder darüber oder darunter: es bleibt uns auf immer verborgen und ewig fremd, und weil dies so ist, halten wir uns doch bitte an diese Wahrheit, an diesen manchmal so schönen Schein, der ja tatsächlich im Nu uns Auskunft gibt über uns, wollten wir nur genauer hinschauen und präzise denken: sie spiegelt uns, verweist uns auf uns selbst … doch sie spricht leise, mit Bedacht. — Eine Losung aber auch hier nicht, und auch keine Lösung, wir wildern weiter in den verwahrlosten Gärten der Philosophinnen und Philosophen, denen es nurmehr bleibt, das Unkraut zu pflegen, auszureißen und zu verspeisen um es wiederzukäuen und wieder und wieder in die Aborte der Geschichte und der Bücher zu entlassen. Mein Gott, was haben wir uns nicht schon alles anhören müssen … während uns die Tiere auf ihren Samtpfoten angeschaut haben, aus ihren vergitterten Käfigen, hinter Stangen umherlaufend, ihrem Kot überlassen und den von uns achtlos hineingeworfenen zerstückelten Resten ergrauter Tierkadaver und unseren teilnahmslosen toten Blicken im Vorübergehen…; diese nurmehr mühsam zu entziffernden Geschichten aus endloser Repetition und widerlegter Widerlegung auf der Suche nach Sinn, dem aber niemand habhaft werden kann Warum? Man sucht nur unter der Oberfläche Darum. — Der schöne Glanz jedoch …! O wie ich ihn liebe …

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Vom Weiß im Auge des Blinden

Senkrechte Stadt, eine Sammlung von steinernen, stummen Stelen, monolithisch und gerastert von den Linealen in den Zeichenstuben, monolithisch und von schwarzen Fensteröffnungen durchlöchert, perforiert von diesen endlosen Reihen immer gleich formatierter Öffnungen, in denen einzig der Schatten wohnt, sich selbst genug; ausgestanzte Leere, sich selbst rahmende kleine Mäuler, Schlünde, Vierecke im Verbund aus Rat– und Mutlosigkeit aus erschreckender Einfallslosigkeit und hingestammelter Ästhetik im Verbund mit der Gier derer, die all dies bauen ließen. Aus Staub. Diesem hoch aufwirbelndem Staub, der in die Lungen dringt wie einst die Pest in die ihrer Opfer. Türme, die den Himmel nicht streicheln, ihm auch eine Antwort schuldig bleiben, Scheintote in jenem Atlas, der alles Gebaute einst verzeichnen wird. Alles ausgedacht im Schatten dieser Türme, in den schattigen Höhlen die sie bergen, wie die Wiese die Maulwurfsgänge; ja, ausgedacht in diesen blinden Höhlen dieser Türme, deren Wände mit Lethe geschlemmt sind, mit Verdruss und Langeweile, Stumpfsinn und Tristesse. Keine Poesie. Keine Zeile oder Linie des Glücks; keine das Gemüt erheiternden Lineamente. Alles ohne jedwedes Raffinement. Ohne Lust. Schlechte Schauspielkunst gepaart mit einer Dramaturgie, die auf den Knien geschrieben scheint auf dem Abort der Geschichte. Seht doch nur das Fahle, das Weiß im Auge dieser Blinden, den sich selbst verzehrenden Schein, die Bilder aus Trug und verblendeter, irregeleiteter Phantasie, die sich selbst nur schmückt und an den Straßenrändern zerschellt. Diese Bilder tauchen aus sich selber auf, ohne Botschaft, ohne Freude an den Dingen, ohne Verweise, selbstreferentiell, bigott, erstarrter Ennui. — Wie schön jedoch, und hier halten wir einen Moment inne, die der Abstand, die Leere, zwischen diesen Türmen sein kann: Sie atmet tief ein und aus.  Hier erst, im vermeintlichen Nichts, kommt der Plan einer jeden Stadt zur Ruh …——

 

 

 

 Schauspiel Naturraum, Von dem kleinen zierlichen Kettchen

Man lese diese Manifeste diese Proklamationen diese Predigten der Rattenfänger die Gesetze der selbsternannten Götter die Pamphlete der Greise die notierten Hirnschlaufengänge der Philosophen am Rande der Wüste aus der sie kamen und wohin sie gehen und wandeln auf sandigem Grund … — die Horoskope der Fische sind genauer und auch die Seelenabgründe der Rattenrudel aus dem Buch der Natur und wir verstehen das alles erst am Ende wenn alle Codes ausgelesen und entschlüsselt und der letzte Text eingespeist wurde in die große leere Maschine deren Teilchen sich selbst beschleunigen und verschwinden machen und zurücklassen nur den Trost nichts verstanden zu haben von all dem Sinn den die Mechanik des Mund-Auf-und-Zumachens erzeugt hat in den Jahrhunderten des Geistes der Philosophie der Literatur und wer wollte ernsthaft bestreiten daß es diese Jahrhunderte gab aber sie waren zu früh oder zu spät oder gar doch nur eine Illusion unter vielen anderen weil Illusionen sind der Träume Grab und sie erstehen aus den Gräbern nicht mehr auf und die Träumenden haben auch keine Schriften hinterlassen aus denen etwa mehr hervorginge als das Wenige das noch in den Bibliotheken Platz fand und die Maschine noch nicht sich übergeben hatte von all dem Müll der in sie eingespeist wurde und nicht verdaut werden konnte weil man war nicht bescheiden und sprach von der Hilfe und der Zukunft der Maschine und ihrem potentiellen Segen der mehr wert sei als alle Predigten in den verlassenen Kirchen weil das stimmte ja auch und man fand sich ein und legte diese Hirnschlaufengänge zusammen zu zierlichen kleinen Kettchen die man sich um den Hals legte ohne zu bemerken daß diese sich von selbst immer enger zogen und man sie nicht mehr lösen konnte und sie zogen sich weiter zusammen und man begann nach Luft zu schnappen und man ruderte mit den Armen und man zappelte mit den Beinen und Füßen und man versank mehr und mehr in diesem Sand am Saum der Wüste aus dem die letzten herausgerissenen Buchseiten ragten mit angesengten Rändern und wenn man sie in die Hand nahm diese Blätter waren sie leer. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Von der Sonnenuhr

Zurück in diesen finsteren Häusern aus Mörtle und Wachs, deren Wände mit Salpetersäure besprenkelt sind, beißend, rauchend, stinkend, ätzend; die Böden mit Dreck und Abfällen übersät, zerschlagenes Geschirr, Blecheimer, geschmolzene knallbunte Plastikflaschen, eine Spielzeugpuppe im falben roten Seidenkleid, durchlöchert, angefressen von Ratten, Leitungen die aus den Wänden lugen, isolierte und kupferne rohe Drähte, frei liegende Rohre, zerborsten, die Fäkalien an den Innenseiten braunschwarz und mit dem Rost eins geworden, Tapetenreste, freigeschlagene Ziegelsteine, grob verfugt, Schlieren wie Honigschleim, Fäden aus Dunst und Staub und ranzigem Fett tropfen von den mit Schimmel übersäten Decken, rostige Bettgestelle, verirrte Daunen kleben an den Matratzen, alles  ist rissig, verschorft, ranzig, vergammelt, rosabraun, umbrablau, schwefelgelb und venezianischrot, eine gigantische verheerende krank machende Augenpulvermaschine, gelben Schwindel auslösend, ein stetiges Würgen … und rosanen Brechreiz. — O heiliges Europa; endlose Karawanen von erschossenen Jünglingen waten im Blut:  ihre eigenen Geister, Blumensträuße in den Händen; entblößte Jungfrauen, Blumen im Haar, weite, wild blühendeWiesen voller duftender und betörender Kräuter und die Städte blank und leer und still. Fassaden mit schwarzen Löchern, von Schutt versperrte Eingangshöhlen, im Rinnstein ein paar vom Kinderspiel übriggebliebene Murmeln aus Glas. Wer mag wann das letzte heitere Lied hier gesungen haben? Das Wort Liebe gesprochen und es ernst gemeint haben? Wer sperrte die letzte Kirche zu? Wer gab der Katze Milch am Morgen, als alles dem Tanz zum Opfer fiel, auch diese Katze hier mit dem versengten Fell? —Wir haben keine Zeit mehr? Wer sagt denn das? Jetzt nimm die Sonnenuhr von der Wand und hefte sie an deine Stirn. ——

 

 

 

 

 Schauspiel Naturraum, Von Einbahnstraßen und Sackgassen

Dann, wenn es erst soweit ist, schauen wir ratlos in unsere Handflächen, in diese uns stets fremde weiche freundliche Mulde, in diese in vielen Jahren geformte Schale aus sich ständig erneuernder rissig-faltiger und doch so samtener Haut, in dieses mysteriöse Netz, von einer uns unbekannten Spinne gewoben in den Stunden der Unachtsamkeit und fehlender Kontrolle über uns, in dieses Liniengewirr aus sich kreuzenden und windenden Fäden, mal fein mal grob, deren Enden sich irgendwo verlieren an den Rändern, in diese grazile Macchia aus gelebtem Leben und angefassten Dingen, aus Stoff und Blut … wir starren dann auf dieses Wegenetz ohne Hinweisschilder und ohne Richtungspfeile, dieses verschlungene Netz in einem immer unwegsam gebliebenen Gelände in dem wir unterwegs waren und sind, Einbahnstraßen und Sackgassen, Pfade in weiten Tälern, in denen wir uns verloren, Schotterwege im Gebirg, von denen wir hinunterschauten bis uns schwindelig wurde und wir den scharfen und eiskalten Wind an den Ohren spürten der uns taub machte; immer stießen wir während der hier verzeichneten langen Reisen auf uns selbst, diesen unbekannten Ort, von dem auch unsere kleine Mulde in der Hand nichts mehr zu erzählen weiß, ihre hier auf und in der Haut verzeichneten Spuren bleiben stumm, verrätseln mehr als daß sie etwas preiszugeben bereit wären … diesen Ort Ich, den wir lieb gewonnen haben und doch nur fröstelnd an uns nehmen, weil er uns unheimlich ist, sagenumwoben von uns und von anderen Stimmen die auf ihn stießen, unheimlich auch, weil er unsichtbar bleibt selbst wenn wir vor dem Spiegel stehen, wo doch nur das Gesicht erscheint, dem gerade die Gesichtshaut abgezogen wird, nur um dort das gleiche Gesicht zum Vorschein zu bringen, eines, das nicht mehr lügen und nicht mehr lächeln will, weil es an einen Ort gezerrt wurde, den es nicht mag, an dem das Entsetzen mit sich selber ein Kartenspiel spielt, in dem alle Karten gezinkt sind in allen Händen, die mit den schönen Mulden mit den vielen schmalen und weiten schönen Wegen die zuletzt alle nach Nirgendwo führen. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Weiße Steine

Unser Körper, wie ein rostiger Hangar am Rande der Wüste, sammelt und sammelt und speit aus und erbricht sich in die Blumenfelder, die er zuvor angelegt und die er gehegt hat aus Liebe zur Schönheit, aus denen nunmehr ein betörender Blütenduft steigt, der gemeinsam mit den hier wohnenden Farben eine Symphonie anstimmt, die in weiten, endlosen Wellen das Land durchströmt: die Einhörner stellen ihre Ohren auf und auch die Wölfe, deren Felle verschorft sind und deren Pfoten durch glühende Kohlen waten; ohne Schmerz. Rinnsale aus den Weinbergen füllen langsam aber ununterbrochen die Täler, aus denen wir uns selbst vertrieben haben, ohnmächtig, zornig uns selbst gegenüber, verwirrt. — Im Gras auf dem Rücken liegend, träumend, denkend nur an das ferne Land das einmal in uns war: ein Wind, so kalt, daß einem das Lächeln in den Mundwinkeln einfriert, feine Gräserspitzen, die das Gesicht berühren wie lästige Fliegen, das eigene Taumeln vor dem großen Sturz erinnernd, den Fall, der unweigerlich hat kommen müssen nach all den aufgeführten Tänzen ums Goldene Kalb an den weißen Stränden, in deren Sand die ausgewaschenen Muscheln liegen, Schnecken, Scherben, Quallen, weiße Steine, leere Flaschen, Stofffetzen, von Algen umschlungenes Astwerk von irgendwoher, Reste von Tauen, Plastikmüll; die Lieder sind gesungen, die Thresen vom Meer verschlungen, die Liebesgeschichten erzählt und vergangen, vorbei, nie wieder; wir lesen diese Minuten, auf dem Rücken liegend, vom Himmelszelt auf, vernähen sie zu falschen Erinnerungen, die immer Lügen sind, weben Täuschungen ein, die immer die unseren sind, fabulieren und erzählen die Märchen, die wir schon so oft endlos wiederholt haben an den Kaminen, den Tischen, zwischen geleerten Flaschen, feuchten Bierfilzen und verschmutzten, seifigen Gläsern, an den Gasthausstränden, an die längst kein Schiff mehr anlegt warum auch. Doch all diese vielen Geschichten glauben wir im Grunde selbst nicht mehr: verschorft, ausgewaschen, unlesbar, ohne Glanz, fortgespült, vertrocknet. ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Welche Schätze aber suchen wir

Der Schatz im Tränensee: Ein tiefer Schlaf, der nicht erlöst, aufgeschrieben im Reich der Träume, gejagt, gehetzt vom wilden Tier in uns, das wir gezähmt zu haben glaubten, das uns aber wieder und wieder anfällt in diesem Reich der Träume, dieser Landschaft aus Milch und Honig, Selbstbegegnungen und fremden Stimmungen, aus Vergessen und Rausch und Tiefe und Furcht (nicht nur vor uns selbst), aus Sehnsüchten und Fieber und Scham, die uns wirr macht und wütend und ratlos … Istrien, Timbuktu, Wüstensand und Teer, Häuserschluchten, Flut und Ebbe, babylonisches Sprachengewirr, ständiges Nichtverstehen, Sanskrit, Mozarabisch, Galitisch, Hethitisch … unsere Taubheit. Hier liegen wir zusammengerollt am Herd der Natur, mal warm, mal kalt, nackt und bloß, Grasland, Undeutliches, Geraune, gejagt, gehetzt, getrieben, erschöpft … bis wir weinen und wir in diesem Tränensee versinken. — Haben wir nicht auch das Schlafen schon verlernt? Nicht wach sein ist noch kein Schlaf. Welche Schätze aber suchen wir, wenn wir die engen Schluchten zwischen den Gebäuden im Häusermeer der Seele durchwandern, uns an den Hauswänden entlangdrucksen, diesen rissigen Elefantenhäuten, uns in die Hauseingänge zwängen, um aus dem Halbschatten heraus uns das Treiben anzuschauen ohne an ihm teilzuhaben, gedanklich längst  im Niemandsland; Schatten werfen nur die anderen, wir sind schattenlos, sprachlos und allein, immer allein. Ein Schauspiel ohne Natur, ein Treiben unter Regenschirmen und Sonnenhüten, unter Fezen und Tüchern, Turbanen, Zylindern und Federschmuck. Dann die Perlen, traumweiß an den Hälsen wie Girlanden gegen die Trauer, die die Träume einhegen und so tun, als sei der Tag schon vorüber … schlaf ein, schlaf ein. Der Schatz im Tränensee, auf dessen Grund der Mond sich spiegelt. — Wir treiben im All mit den Sternen umher. ——

 

 

Schauspiel Naturraum, Welkes Laub …

Ein weites, bis an den Horizont reichendes Feld, in dem die Mythen wohnen: gelber kambrischer Mohn und goldgelbe Hyazinthen, die gegen die Innenwandungen des Gehirns wachsen und die Sicht verstellen auf das endlose Meer in uns, von dem wir nicht wissen wie tief es ist, das aber die Inseln birgt, auf denen wir wohnen im Traum: Beladen mit Schuld, mit dem Wissen um den Schrecken der in uns haust, mit unserer Verzweiflung angesichts der Nähe dieses Schreckens, den wir niemals bannen können, weil er keine Methode und kein Ziel kennt, der sich selbst genügt und gleich einem Virus im Nu Gestalt annimmt auf der weiten schiefen Ebene unserer Seele. Diese Seele liegt nackt da, offen für alles Heil und Unheil, weit offen wie das Maul des Krokodils, der Schlange und des Froschs, der gerade ein Insekt verschlingt. Sie liegt da, ihren Taumel sehen wir nicht. Das Tulpenfeld in uns blüht. Der Salamander wärmt sich in der Sonne, irgendwo schlägt eine Kirchturmuhr, am anderen Ende der Welt bellt ein Hund den Mond an, hinter der Mauer auf der grünen Wiese liegen die von uns bestatteten Toten, derer wir beizeiten gedenken, dann setzen wir uns einen Heiligenschein auf und gehen spazieren durch das welke Laub, das unter unseren Füßen raschelt und uns daran erinnert, daß alles vergeht, auch die Liebe zu uns selbst und zu den Hoffnungen, die das Leben einst einhegte und pflegte und die ihre in ihnen verborgenen Täuschungen verbargen um ihrer selbst willen. — Irgendwann aber kommen wir an, schauen uns um und sehen in dem vor uns aufgestellten Spiegel das Bild eines anderen der wir auch sind. ——

 

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Wie Flimmerhärchen im Wind …

Geschlossene Augenlider, zwei exakt bemessene dunkle schmale Wimpernsegmente, haarfeine Sicheln, die an die Augenpaare der in sich versunkenen Madonnen auf den Tafelbildern der Renaissance erinnern als glaubhafte Zeuginnen einer Sendung aus dem Jenseits, die Glätte der gleichsam bewegungslos atmenden Haut: Ein Gesicht beinah wie eine Totenmaske, in sich ruhend, eine ewig lange Einstellung … man sieht nur den Kopf in der Frontalen, nur diese Maske: behutsame Kurvaturen, weich, zart gezeichnet das gesamte Lineament, ein Oval aus dem Lehrbuch des Meisters, der alles aus der Naturbeobachtung bezog; angenehme Proportionen die die ausstrahlende Ruhe unterstreichen wie auch die Stille und Ruhe, die dieses Gesicht aussendet, den Raum bannen, den Hintergrund, das Sfumato der Konturen im Viereck des Bildes … — bei längerem Hinschauen minimale Bewegungen um den Mund herum, am Lippensaum, der die Regungslosigkeit zum Schimmern bringt, hauchfeine Oszillation, wie Flimmerhärchen im Wind … ein langanhaltender Ton, den man nicht vernimmt, als reine Vorstellung gegen das Nichts, das es nicht gibt, da es sonst auch dieses Nichts nicht geben würde … in den Mundwinkeln ein erstes Zucken, die Augenlider bleiben absolut reglos geschlossen, kein Augenrollen hinter oder auf ihren feinzarten Häutchen: diese lebendige freundliche Totenmaske bleibt, sie verharrt in dieser Irritation zwischen schon tot und noch lebendig … die untere Gesichtshälfte aber beginnt sich zu regen, man vermeint ein beginnendes feines und leichtes verlegenes Lächeln wahrzunehmen, gepaart mit diesem unmerklichen Zucken … dann spalten sich die Lippen in einer unendlich langsamen Bewegung … die Augenlider bleiben wie zuvor absolut reglos geschlossen … der Mund beginnt zu sprechen ohne Laut von sich zugeben … ein sanft dahinperlender Redefluss aus schönen Worten die man nicht versteht: reine Poesie aus blühend–stummen Reimen und gesetzt in einem monotaktischen, langanhaltenden Rhythmus: Ein sanftes Sprechen in die Leere hinein. — Wir? Wir bleiben verständnislos zurück als das Licht erlischt und in der Dunkelheit langsam, ganz langsam, auch das Nachbild der Maske des immer fremd bleibenden Gesichts auf unserer Netzhaut sich verflüchtigt. Auch die Erinnerungen an dieses Geschehen verblassen … bis sie ganz verschwunden sind. ——

 

 

 

Schauspiel Naturraum, … wie Laub im Sturm

Wenn alles zu tanzen beginnt, weich, langsam, behend … wenn alles leichten Schrittes sich wiegt im Wirbel seichten Windes, wie auf feinem Sand der die Dünen herabperlt … wenn alles sich wie von selbst bewegt gleich Atem in lauer Luft … wenn alles sich dreht wie die Gestirne es tun in ihren Spiralnebeln, die dem Chaos erwuchsen und den Veitstanz auf der Nadelspitze aufführen … wenn alles stürzt und rennt und flieht und zuckt — dies alles im Angesicht des Grauens, des Schreckens, des sich türmenden Unheils, der Toten, vor den Ruinen, vor dem Schutt, vor dem Geröll, in der stickigen Luft, die einzuatmen schwerfällt weil sie gesättigt ist mit Asche die der Glut der Feuer entströmt, weil sie heiß ist wie die aus den irdenen Öfen und den stählernen Schmieden — … wenn die Bewegungen dieses schreckgeladenen Tanzes übergehen in einen Teufelsritt über glühendes Gestein, das aus dem Innern der Erde herausgeworfen wird, wenn sich dieses Gestein erhebt und in die Höhen geschleudert wird wie Laub im Sturm, dann herniederfällt auf die Tanzenden und Weinenden, die Fliehenden und Rennenden, die Schreienden und Wahnsinnigen und auf die zerschmettert herumliegenden Leiber … wenn dies alles geschieht ohne Gebete zu erhören, diese endlosen geschwätzigen Reime und Litaneien, gefertigt aus dem wertlosen Tand der irdenen Gurus der Götter hienieden, wenn es geschieht eben nicht als Traum, nicht als Vorstellung, nicht als Höllenphantasie — sondern als Vollendung einer Idee, der Idee nämlich des Endes von der Theorie von Allem, das schon immer, und schon ewig, jeweils sich schon zu Beginn jeden Werdens in ihm selbst, in diesem Werden, zu regen beginnt, dieses geradezu initialisiert um an sein Ziel zu gelangen … dann, ja, dann haben wir die Antwort auf alle Fragen … (denn alles ist nur ein Bild, eines, das wir uns von ihm machen können am Ende …). ——

 

 

 

 

Schauspiel Naturraum, Worte aus Blei

Fieberrand, Feuerrand; ein schmaler Grat auf dem wir stehen und uns die Schuld von der Seele zu reden versuchen; wir sprechen in den brodelnden Krater, der auf keiner Karte, in keinem Atlas verzeichnet ist, ein Krater, dessen Koordinaten sich im All verlieren, der von unvergleichlicher tiefer Schwärze ist und alles schluckt, alles absorbiert, alles tilgt, alles endgültig verloren macht. Das Gold auf seinem Grund ist unsichtbar, wie das Geröll des Schweigens, in das es gebettet. — Zahllose Kometen glitten in Millionen von Jahren über diesen Krater hinweg, Zaungäste aus dem All, ohne Botschaft, ohne Sinn, wie ja alles eines Sinns entbehrt, dieser trüben Illusion in den Fängen und Netzen derer, die sich Priester nennen, Philosophen und Götter: Nichts … ein Nichts aus Unendlichkeit und Wonne, die dieser Unendlichkeit entsteigen gleich Maden dem Teig, aus dem alles gemacht: Blindheit, die alle zu Toren macht und sie vertilgt. Brosamen für das Denken, das Sprechen in den Krater hinein, der sich nun auftut vor dem schmaler und schmaler werdenden Grat, auf dem wir stehen und zunehmend verzweifeln. Fieberrand, ja, gesteigert um das Denken, diesem verglimmenden Feuerrand … und ja, angereichert auch von der Schwachheit unseres Denkens, von dem Lärm, den wir entfachen mit jedem Wort aus Hülse und Kern, Wahrheit und Lüge, Schmerz und Labsal und dem ewig gültigen Unbedeutsamen … — wenn wir zuletzt endlich in die Dornen fallen dieser Worte aus Blei, die den Nächten vorangehen und unseren Träumen, denen sie entsteigen. Denn sind wir denn nicht bloß Traum unserer selbst? ——