Zum Geleit

 

»Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt,
Straßenspülung, Haustürschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. —
Gemütlich bin ich selbst.«
Karl Kraus

 

»Unsere Städte sind stärker von Architekten als von Bomben ruiniert.
Die Bombe zerstört schlimmsten Falles bis zum Grunde,
der Architekt von Grund auf.«
Ernst Jünger

 

»Baukunst ist in Wahrheit immer der räumliche Vollzug geistiger Entscheidungen. (…)
Heute, wie seit langem, glaube ich, dass Baukunst wenig oder nichts zu tun hat
mit der Erfindung interessanter Formen noch mit persönlichen Neigungen. (…)
es ist bedeutungslos, mit welchem Elan das Falsche getan wird.
Auf das Wesentliche kommt es an.«
Mies van der Rohe

 

»Wenn es dem Architekten nicht gelingt,allein mit der Stimmung seines Raumes
den Mann zu zwingen,den Hut abzunehmen und die Frau ihre Stimme zu zügeln,
ist er für diese Aufgabe nicht geschaffen.«
Theodor Fischer

 

»Moderne Architektur ist das aus der richtigen Erkenntns einer
fehlenden Notwendigkeit erschaffene Überflüssige.«
Karl Kraus

 

Architektur hat ihre eigenen Regeln — diese entstammen
nicht
der Unterhaltungsindustrie;
getreu dem Motto von


Oswald Mathias Ungers

»Architektur ist Architektur. Alles andere ist alles andere.«

 

 

 

Gedanken zur Lehre 2000 — 2020

 

 

Baugeschichte

 

Leitsatz: Wider die Baugeschichte als Steinbruch der Motive

 

Baugeschichte ist keine Geschichte der Stile.
Baugeschichte ist Kulturgeschichte.
Kulturgeschichte ist Sozialgeschichte, Mentalitätsgeschichte, Ideengeschichte,
Wirtschaftsgeschichte, Geistesgeschichte, Kunstgeschichte, Technikgeschichte.

 

Baugeschichte ist aber zunächst die Geschichte der Disziplin Architektur.
Die Regeln dieser Disziplin sind in ihr selbst aufgehoben — und nur in ihr.

Baugeschichte verfolgt die Geschichte der Kulturen — und die Spuren
ihrer inneren Beschaffenheit, der die baulich-räumlichen und somit
strukturell, ästhetisch und konkret-bildhaft wirksamen Resultate der
Architektur (respektive der Baukunst) entwachsen.

 

Baugeschichte ist auch keine ausschließliche Geschichte der architektonischen Motive;
diese sind nicht ursächlich, sondern jeweils das Resultat einer vielfältig codierten Idee.

 

Zunächst: Wie bei allen Blicken zurück in die Geschichte herrscht auch hier ein selektiver Blick vor,
gelenkt von unterschiedlichen Interessen und Geisteskonstellationen der jeweiligen Zeit,
aus der heraus man diese (immer spekulativ bleibende) Rückwärtsschau unternimmt.
Schaute man im 18.Jahrhundert — zum Beispiel — fasziniert in das Zeitfenster der griechischen
und auch römischen Antike, so fokussierte man den Blick im 19. zunächst auf die Gotik,
dann auf die architektonischen Geschehnisse der Renaissance; das 20. Jahrhundert wiederum
blendete "Geschichte" in der Regel gerne aus, weil man sie mit "Tradition" in Verbindung brachte —
und alles wollte man sein, nur nicht traditionell.

 

Schon diese Beispiele zeigen, wie gespenstisch es zugehen kann auf dem brüchigen Parkett "Geschichte" —
eben weil es immer andere Gespenster sind, die danach trachten, uns heimzusuchen.

Diese Szenerie Baugeschichte ist daher immer zu betrachten als ein hochkomplexes und von Ideologien
vermintes Feld von Notwendigkeiten und Strategien, von Ressourcen und Möglichkeiten, von
Spekulationsgewinnen und –verlusten, von Fokussierung und Weitung der Blickachse,
von Weit– und Fernsicht, von Aus– und Abblendung, von Wahrheit und Behauptung …
jederzeit unter jeweils spezifischen Bedingungen, die uns, unausweichlich, das hic et nunc diktiert.

 

Die Architektur– und Baugeschichte ist — hier als kleinster Nenner — ein Terrain von jeweils
kulturell determinierten Typologien und Mustern, die stets zunächst einem sozialen und/ oder
repräsentativen Gebrauch entwuchsen (und entwachsen);ein Terrain mithin von Gebäudetypen
und deren Variationen, die bestimmten, immer historisch bedingten Möglichkeiten und den
daran angelehnten Überlegungen in Bezug auf Topos und Klima, Funktion und Struktur und
technisch-konstruktiven Kriterien und nicht zuletzt ökonomischen Kriterien gehorchen.

Aus diesen, den ökonomischen, den (sozio–)kulturellen und den ästhetischen Codes —
dies sind meist ungeschriebene Regeln, die auch die Psychogramme der agierenden Architekten
touchieren — und den Möglichkeiten der Architekten, diese zu erkennen, zu beherrschen
und anzuwenden, ergibt sich ein baulich–räumliches Gefüge, eine strukturell zunächst bloß
behauptete Sinngebung, eine architektonische Gestalt in situ … mithin auch die Wirksamkeit
der Bildhaftigkeit der Architektur.

 

Zuletzt: Baugeschichte resp. Architekturgeschichte — als dieses unsichere Feld betrachtet — gilt es
grundsätzlich unter der Bedingung in Augenschein zu nehmen, daß man sich bewußt bleibt, daß man
selbst von einem exakt definierten historischen Standpunkt aus — dem uns immer undurchsichtig
bleibenden und mit Täuschungen, Fallstricken und Irritationen versehenen hic et nunc — das vergangene
Geschehen und die daraus erwachsenen, mithin objektivierten resp. materialisierten baulich–räumlichen
und objekt– und bildhaft aufscheinenden Resultate betrachtet und bewertet.

 

Baugeschichte? — Das Sich–Bewegen auf diesem Parkett bedeutet deshalb immer nur Annäherung
an Phänomene, die Spuren der Relativität und der Spekulation in sich tragen. —

 

 

Architekturtheorie

 

Leitsatz: Denken als Lustgewinn — Lust am Text

 

Architekturtheorie ist, wie alle Theorie, zunächst dies: eben Theorie.
Architekturtheorie ist als Begriff und Phänomen (normativ) nicht definierbar.
Architekturtheorie hat auch ästhetische Kategorien im Sucher.

Architekturtheorie ist immer spekulativ.

 

Architekturtheorie hat mit der Architekturpraxis zunächst eher wenig gemein.
Ausnahme bilden Gebäude, die als architekturtheoretische Manifestationen auftreten.


Architekturtheorie nämlich ist das zeitgebundene, ständig offene und offen zu haltende Feld,
auf dem man abstrakt, weil in Begriffen und/ oder in Bildern denkt und sucht,
analysiert und spekuliert, nachsinnt und auslegt, abwägt und urteilt, herleitet und nachweist,
behauptet und spricht und schreibt.

Die Ergebnisse der Architekturpraxis hingegen sind nie abstrakt, sondern immer konkret. —

 

Diese Art Theorie betreiben? — Hierzu gehören Neugierde und Lust am Denken,
sowie Lust am Text, verbunden mit Kritikfähigkeit und der Fähigkeit, Fragen zu stellen
und diese vor zu schnellen Antworten zu retten.—

 

Die Fähigkeit zu erkennendem Schauen ist dabei erste Voraussetzung,
sich sicher auf diesem Terrain zu bewegen.
Die zweite: die Kulturtechnik des Lesens zu beherrschen. —

 

Was Not tut: Architekturtheorie derart verstehen als nurmehr eine weitere mögliche Lesart
der Geschichte der Architektur und deren beständige, anhaltende Möglichkeit der Reflexion
über sich selbst, ihren Sinn und ihre Bedeutung im Kanon und im Kontext der Zeitläufte und
im Widerstreit und im Gegensatz und in ihrer Ungleichzeitigkeit auch anderen
(nicht nur sichtbaren, mithin objektivierten) Phänomenen unserer Kultur gegenüber. —

 

Architekturtheorie mithin hat ihre eigene Praxis:
Das Schauen. — Das Denken. — Die kritische Reflexion. — Den Diskurs.

 

 

Bauen im Bestand


Leitsatz: Weiterbauen heißt Weiterdenken

 

Bauen im Bestand heißt weiterbauen.
Weiterbauen heißt umbauen, anbauen, einbauen, (dr)aufbauen.

Bauen im Bestand heißt demnach zunächst dies: Denken im Bestand.
Das Nachdenken über den Bestand steht mithin im Vordergrund.

 

Der bauliche Bestand, nicht nur der unserer Städte, ist geprägt durch unsere Kultur;
durch die Geschichte unserer Kultur. Der bauliche Bestand ist demnach, wie unsere Kultur,
Resultat von Kontinuitäten und Brüchen, Tradition und Erneuerung, Zerstörung und Aufbau,
Aneignung und Reflexion, Besinnung und Innovation, von Überlieferung und In-Frage-Stellen.

 

Bauen im Bestand heißt demzufolge vor allem: die Fragen und Positionen weiterdenken,
die sich aus diesen Dualismen ergeben. Das Prinzip Weiterbauen beruht mithin
auf dem Prinzip Weiterdenken: weiterdenken das, worüber andere zuvor schon nachgedacht,
weiterbauen an dem, was andere Generationen zuvor gebaut haben.

 

Bauen im Bestand  — Weiterbauen — Weiterdenken:
Genau dies wird die kommenden Generationen von Architekten zunehmend beschäftigen.